Tage in Burma
hier heraus und auf den Platz? Irgendwo muß ein Weg
sein. Was für ein Anfang für Sie - Ihr erster Morgen in
Kyauktada! Sie werden einen sehr schlechten Eindruck von
Burma haben, fürchte ich.«
»Ach nein; es ist nur alles ziemlich fremd. Wie dicht dieses Gebüsch ist! Alles irgendwie verfilzt und fremdländisch. Hier kann man sich im Nu verirren. Ist das der sogenannte
Dschungel?«
»Buschdschungel. Burma ist größtenteils Dschungel - ein
grünes, unfreundliches Land, finde ich. Wenn ich Sie wäre, würde ich nicht durch dieses Gras gehen. Die Samen bleiben in Ihren Strümpfen hängen und fressen sich dann weiter in die Haut.«
Er ließ das Mädchen vor sich hergehen, da er sich freier
fühlte, wenn sie sein Gesicht nicht sehen konnte. Sie war
ziemlich groß für ein Mädchen, schlank, und sie trug einen fliederfarbenen Baumwollkittel. Nach der Art, wie sie ihre Gliedmaßen bewegte, konnte sie nicht viel über zwanzig sein. Er hatte ihr Gesicht noch nicht betrachtet, hatte nur gesehen, daß sie eine Brille mit Schildpattrand trug und daß ihr Haar so kurz war wie das seine. Er hatte noch nie eine Frau mit
kurzgeschnittenem Haar gesehen außer in illustrierten
Zeitschriften.
Als sie auf den Platz hinauskamen, trat er neben sie, und sie wandte ihm ihr Gesicht zu. Es war ein ovales Gesicht mit zarten, regelmäßigen Zügen; vielleicht nicht schön, aber hier in Burma, wo alle Engländerinnen gelb und mager sind, kam es ihm schön vor. Er wandte den Kopf mit einer scharfen Wendung zur Seite, obwohl sie sein Muttermal nicht bemerken konnte. Er konnte es
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nicht ertragen, daß sie sein zermürbtes Gesicht aus nächster Nähe sah. Er schien die welke Haut um die Augen zu fühlen wie eine Wunde. Aber ihm fiel ein, daß er sich heute morgen rasiert hatte, und das ermutigte ihn. Er sagte:
»Ich muß schon sagen, Sie müssen doch nach dieser
Geschichte ein bißchen mitgenommen sein. Wollen Sie mit zu mir kommen und sich ein paar Minuten ausruhen, bevor Sie
nach Hause gehen? Es ist auch ziemlich spät, um ohne Hut
draußen herumzulaufen.«
»Oh, vielen Dank, gern«, sagte das Mädchen. Sie konnte
nichts von indischen Vorstellungen von Schicklichkeit wissen, dachte er. »Ist das Ihr Haus?«
»Ja. Wir müssen vorn herum gehen. Ich werde Ihnen einen
Sonnenschirm geben lassen. Diese Sonne ist gefährlich für Sie mit Ihrem kurzen Haar.«
Sie gingen den Gartenweg hinauf. Flo sprang um sie herum
und versuchte, auf sich aufmerksam zu machen. Fremde
Orientalen bellte sie immer an, aber sie liebte den Geruch von Europäern. Die Sonne wurde stärker. Eine Welle von Duft wie nach schwarzen Johannisbeeren ging von den Petunien neben
dem Weg aus, und eine der Tauben flatterte zur Erde und erhob sich sofort wieder in die Luft, als Flo sie packen wollte. Flory und das Mädchen blieben wie auf Verabredung stehen, um die Blumen anzusehen. Beide wurden plötzlich von einem
unvernünftigen Glücksmoment erfaßt.
»Sie dürfen wirklich bei dieser Sonne nicht ohne Hut
ausgehen«, wiederholte er, und irgendwie lag etwas
Vertrauliches darin. Er konnte nicht umhin, sich irgendwie auf ihr kurzes Haar zu beziehen, er fand es so wunderschön.
Darüber zu sprechen war so, als ob man es mit der Hand
berührte.
»Schauen Sie, ihr Knie blutet«, sagte das Mädchen. »Haben
Sie sich das geholt, als Sie mir zu Hilfe kamen?«
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Auf seinem khakifarbenen Strumpf war ein purpurnes kleines Rinnsal von trocknendem Blut zu sehen. »Das ist weiter nichts«, sagte er, aber keiner von ihnen hatte in diesem Augenblick das Gefühl, daß es nichts wäre. Sie begannen mit außerordentlichem Eifer über die Blumen zu plaudern. Das Mädchen ›schwärmte‹
für Blumen, wie sie sagte. Und Flory führte sie den Pfad hinauf und verbreitete sich wortreich über diese oder jene Pflanze.
»Sehen Sie sich diesen Phlox an. Der blüht in diesem Lande sechs Monate lang. Dem ist die Sonne nie zuviel. Ich glaube, diese Gelben haben fast die Farbe von Schlüsselblumen. Ich habe seit fünfzehn Jahren keine Schlüsselblume mehr gesehen, auch keinen Goldlack. Sind diese Zinnien nicht schön? - wie gemalte Blumen mit diesen wunderbar matten Farben. Dies sind afrikanische Ringelblumen. Das sind einfache Blumen, beinah Unkraut, aber man muß sie einfach gern haben, sie sind so
lebendig und kräftig. Die Inder haben eine außergewöhnliche Vorliebe für sie; überall, wo Inder gewesen sind, findet man Ringelblumen, sogar nach Jahren, wenn der
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