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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Art
    abgestempelt war.
    »Guten Morgen, Sir.«
    »Guten Morgen. Was ist das?«
    »Ortsbrief, Euer Ehren. Heute mit der Morgenpost
    gekommen. Anonymer Brief, glaube ich, Sir.«
    »Ach, wie lästig. Na schön, ich werde gegen elf im Büro
    sein.«
    Flory öffnete den Brief. Er war auf ein Blatt Kanzleipapier geschrieben und laut ete:
    Mr. John Flory, Sir - ich der Unterzeichnete erlaube mir den Vorschlag, Euer Ehren zu WARNEN auf gewisse nützliche Informationen, aus welchen Euer Ehren viel Nutzen ziehen können, Sir.
    Sir, es ist in Kyauktada Euer Ehren große Freundschaft und Vertrautheit mit Dr. Veraswami, der Zivilchirurg, bemerkt worden, daß Ihr ihn besucht, Ihn in Euer Haus einladet etc. Sir, wir erlauben uns, Ihnen mitzuteilen, daß besagter Dr.
    Veraswami KEIN GUTER MANN ist und keineswegs ein würdiger Freund für einen europäischen Gentleman ist. Der Doktor ist hervorragend unehrlich, unloyal und ein korrupter öffentlicher Diener. Gefärbtes Wasser liefen er den Patienten im Hospital und verkauft Drogen zu seinem eigenen Profit, außerdem viele Bestechungen, Erpressungen etc. Zwei Häftlinge hat er mit Bambusstöcken ausgepeitscht, hinterher die Stellen mit Spanisch Pfeffer eingerieben, wenn die Verwandten nicht Geld schicken. Im übrigen ist er in Verbindung mit der
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    Nationalistischen Partei und lieferte kürzlich Material für einen sehr üblen Artikel, welcher im BURMAPATRIOT erschienen ist und Mr. Macgregor, der ehrwürdige Stellvertretende
    Kommissar, angreift.
    Er schläft auch mit Gewalt mit weiblichen Patienten im Hospital.
    Weshalb wir sehr hoffen, daß Euer Ehren Umgang mit
    besagten Dr. Veraswami TUNLICHST MEIDEN und nicht verkehren mit Personen, die nichts als Übel über Euer Ehre bringen können.
    Und werde immer für Euer Ehrens Gesundheit und
    Wohlergehen beten.
    (Unterschrift) Ein FREUND
    Der Brief war in der zitterigen, runden Schrift eines
    Briefschreibers im Basar geschrieben und erinnerte an eine Schreibübung in einem Schulheft von einem Betrunkenen. Der Briefschreiber hätte sich jedoch nie zu gewissen Förmlichkeiten verstiegen. Der Brief mußte von einem Angestellten diktiert worden sein und kam letzten Endes von U Po Kyin. Von dem
    ›Krokodil‹, sagte sich Flory.
    Der Ton des Briefes gefiel ihm nicht. Unter seiner
    anscheinenden Servilität verbarg sich offenbar eine Drohung.
    ›Laß den Doktor fallen, oder wir werden dir die Hölle heiß machen‹, hieß das im Grunde. Nicht daß es von großer
    Bedeutung gewesen wäre; kein Engländer fühlte sich jemals von einem Orientalen wirklich bedroht.
    Flory zögerte, den Brief in der Hand. Mit einem anonymen
    Brief kann man zweierlei tun. Man kann darüber schweigen,
    oder man kann ihn demjenigen zeigen, den er betrifft. Das
    Naheliegende, Anständige war, den Brief Dr. Veraswami zu
    geben und es ihm zu überlassen, was er zu unternehmen
    gedachte.
    Und doch - es war sicherer, sich aus dieser ganzen Sache
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    herauszuhalten. Es ist überaus wichtig (vielleicht das Wichtigste der zehn Gebote des Pukka Sahibs), sich nicht in Streitigkeiten der ›Eingeborenen‹ hineinziehen zu lassen. Mit Indern durfte es keine Loyalität, keine wirkliche Freundschaft geben. Zuneigung, sogar Liebe - ja. Engländer lieben häufig Inder - eingeborene Offiziere, Förster, Jäger, Schreiber, Diener. Sepoys können wie Kinder weinen, wenn ihr Hauptmann in den Ruhestand tritt.
    Selbst Intimität im richtigen Augenblick ist gestattet. Aber ein Bündnis, Parteigängerschaft, nie! Selbst sich in Recht oder Unrecht in einem ›Eingeborenen‹-Streit auszukennen bedeutet einen Prestigeverlust.
    Wenn er den Brief veröffentlichte, würde es Krach und eine offizielle Untersuchung absetzen, und letzten Endes hätte er sich damit auf Gedeih und Verderb mit dem Doktor gegen U Po
    Kyin verbunden. Auf U Po Kyin kam es nicht an, aber auf die Europäer; wenn er, Flory, zu auffällig die Partei des Doktors ergriff, würde der Teufel los sein. Viel besser, so zu tun, als hätte der Brief ihn nie erreic ht. Der Doktor war ein guter Kerl, aber gegen die ganze Wut der vereinigten Pukka Sahibs für ihn eintreten - o nein, das nicht! Was nützt es dem Menschen, wenn er seine Seele rettet und dabei die ganze Welt verliert? Flory begann den Brief zu zerreißen. Die Gefahr, ihn
    bekanntzumachen, war sehr gering, sehr nebulös. Aber in Indien muß man sich vor nebulösen Gefahren hüten. Prestige, der
    Lebensatem, ist selbst sehr nebulös. Er riß den Brief sorgfältig in

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