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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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verzeihen, wenn ich Sie mit meinem Gerede überwältige. Wenn ich jemanden kennenlerne, der etwas von der Existenz von Büchern weiß, explodiere ich leider wie eine
    Flasche warmes Bier. Das ist ein Fehler, den Sie in solchen Ländern verzeihen müssen.«
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    »Oh, aber ich unterhalte mich sehr gern über Bücher. Ich
    finde Lesen so wunderbar. Ich meine, was wäre das Leben ohne Bücher? Es ist wie - wie -«
    »Wie ein eigener Zufluchtsort. Ja -«
    Sie stürzten sich in ein langes, eifriges Gespräch, erst über Bücher, dann über die Jagd, für die das Mädchen sich zu
    interessieren schien, so daß sie Flory dazu überredete, davon zu erzählen. Sie fand es sehr aufregend, als er die Ermordung eines Elefanten schilderte, die er vor ein paar Jahren begangen hatte.
    Flory bemerkte es kaum und das Mädchen vielleicht auch nicht, daß er die ganze Zeit sprach. Er konnte nicht aufhören, so groß war seine Freude am Plaudern. Und das Mädchen war eine gute Zuhörerin. Schließlich hatte er sie vor dem Büffel gerettet, und sie glaubte noch immer nicht, daß diese monströsen Viecher harmlos sein könnten; einen Augenblick war er in ihren Augen fast ein Held. Wenn einem in diesem Leben etwas zugetitelt wird, so meistens für etwas, was man nicht getan hat. Es war einer jener Fälle, wo das Gespräch so leicht, so natürlich dahinfließt, daß man ewig weiterreden könnte. Aber plötzlich verflüchtigte sich ihr Vergnügen, sie schreckten zusammen und verstummten. Sie hatten bemerkt, daß sie nicht mehr allein waren.
    Am anderen Ende der Veranda spähte ein kohlschwarzes,
    schnurrbärtiges Gesicht mit enormer Neugier durch die Pfähle der Brüstung. Es war das des alten Sammy, des Mug-Kochs.
    Hinter ihm standen Ma Pu, Ma Yi, Ko S’las vier älteste Kinder, ein herrenloses nacktes Kind und zwei alte Frauen, die bei der Nachricht, daß eine ›Ingaleikma‹ zu besichtigen sei, aus dem Dorf heruntergekommen waren. Wie aus Teakholz geschnitzte
    Statuen, aus deren hölzernen Gesichtern halbmeterlange
    Zigarren ragten, starrten die beiden alten Geschöpfe die
    ›Ingaleikma‹ an, wie englische Bauerntölpel vielleicht einen Zulukrieger in voller Aufmachung anstarren. »Diese Leute ...«
    sagte das Mädchen beunruhigt und sah die Fremden an.
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    Sammy, der sich ertappt fühlte, sah sehr schuldbewußt aus
    und tat so, als zupfe er seinen Pagri zurecht. Der Rest des Publikums war ein bißchen verlegen bis auf die beiden
    holzgesichtigen alten Frauen.
    »Unverschämt!« sagte Flory. Er fühlte einen kalten Stich von Enttäuschung. Schließlich war es für das Mädchen nicht
    angebracht, länger auf seiner Veranda zu sitzen. Zur gleichen Zeit hatten sie beide sich darauf besonnen, daß sie einander völlig fremd waren. Sie war leicht errötet. Sie setzte ihre Brille auf.
    »Ich fürchte, ein englisches Mädchen ist für diese Leute etwas ziemlich Neues«, sagte er. »Sie haben nichts Böses im Sinn.
    Geht weg!« fügte er ärgerlich hinzu und winkte den Leuten, woraufhin sie verschwanden.
    »Wissen Sie, ich glaube, ich sollte gehen, wenn Sie nichts dagegen haben«, sagte das Mädchen. Sie war aufgestanden. »Ich bin schon ziemlich lange weg. Vielleicht wundern sie sich, wo ich so lange bleibe.«
    »Müssen Sie wirklich? Es ist noch ganz früh. Ich werde dafür sorgen, daß Sie nicht barhäuptig durch die Sonne gehen müssen.
    »Ich sollte wirklich -« fing sie wieder an.
    Sie brach mit einem Blick auf die Tür ab. Ma Hla May trat
    auf die Veranda heraus.
    Ma Hla May trat näher, die Hand auf der Hüfte. Sie war aus dem Haus getreten mit einer gelassenen Miene, die ihr Recht, hier zu sein, geltend machte. Die beiden Mädchen standen
    einander keine zwei Meter entfernt gegenüber.
    Kein Gegensatz hätte seltsamer sein können; die eine leicht gefärbt wie eine Apfelblüte, die andere dunkel und auffallend mit fast metallischem Glanz auf ihrem Zylinder von
    ebenholzschwarzem Haar und der lachsfarbenen Seide ihres
    Ingyi. Flory dachte, daß er bisher nie bemerkt hatte, wie dunkel Ma Hla Mays Gesicht war und wie fremdländisch ihr kleiner,
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    steifer Körper, gerade wie ein Soldat, ohne jegliche Kurve außer der vasenähnlichen Wölbung ihrer Hüften. Er stand völlig
    unbeachtet an der Verandabrüstung und beobachtete die beiden Mädchen. Fast eine Minute lang konnte keine den Blick von der anderen wenden; aber welche das Schauspiel grotesker,
    unglaubhafter fand, kann man nicht sagen.
    Ma Hla May drehte den Kopf zu

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