Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
Vom Netzwerk:
kleine Stücke und warf sie über den Zaun.
    In diesem Augenblick hörte man einen Entsetzensschrei, ganz anders als die Stimmen von Ko S’las Frauen. Der Mali ließ sein Mamootie sinken und starrte mit offenem Munde in die Richtung, aus der der Schrei kam, und Ko S’la, der ihn auch gehört hatte, kam barhäuptig aus den Dienstbotenräumen
    gerannt, während Flo aufsprang und scharf kläffte. Der Schrei wiederholte sich. Er kam aus dem Dschungel hinter dem Haus, und es war eine englische Stimme, der Entsetzensschrei einer
    -92-
    Frau.
    Es gab keinen Hinterausgang aus dem Anwesen. Flory
    kletterte über das Tor und landete mit einem blutenden Knie, da er sich einen Splitter eingerissen hatte. Er rannte um den Zaun des Grundstücks und in den Dschungel, Flo hinterdrein. Gleich hinter dem Haus, hinter dem äußersten Saum von Gebüsch,
    befand sich eine kleine Mulde mit einer Pfütze stehenden
    Wassers darin, die von Büffeln aus Nyaunglebin aufgesucht
    wurde. Flory schlug sich durch die Büsche. In der Mulde
    kauerte eine junge Engländerin mit kalkweißem Gesicht an
    einem Busch, während ein riesiger Büffel sie mit seinen
    halbmondförmigen Hörnern bedrohte. Ein behaartes Kalb,
    zweifellos die Ursache des Angriffs, stand dahinter. Ein zweiter Büffel, bis zum Hals in dem schlammigen Tümpel, sah mit
    mildem prähistorischem Gesicht zu und schien sich zu fragen, was da um ihn herum vorging.
    Das Mädchen wandte ihr verängstigtes Gesicht Flory zu, als er aus dem Gebüsch trat. »Oh, machen Sie schnell!« rief sie in dem ärgerlichen, dringenden Ton von jemand, der sehr
    erschrocken ist. »Bitte! Helfen Sie mir! Helfen Sie mir!«
    Flory war zu erstaunt, um Fragen zu stellen. Er eilte zu ihr, und da er keinen Stock hatte, gab er dem Büffel eine Ohrfeige auf die Nase. Mit einer schüchternen, tolpatschigen Bewegung wandte sich das große Tier ab und trottete schwerfällig davon, von dem Kalb gefolgt. Der andere Büffel befreite sich aus dem Schlamm und latschte ebenfalls davon. Das Mädchen stürzte
    sich, völlig überwältigt von Angst, auf Flory zu, ihm fast in die Arme.
    »Oh, danke, danke! Oh, diese schrecklichen Biester! Was sind das? Ich dachte, sie wollen mich umbringen. Was für
    entsetzliche Geschöpfe! Wie heißen sie?«
    »Das sind nur Wasserbüffel. Sie kommen aus dem Dorf da
    hinten.«
    -93-
    »Büffel?«
    »Keine wilden Büffel - wir nennen sie Bisons. Diese hier sind eine Art Vieh, das die Bur manen halten. Die haben Ihnen einen schönen Schrecken eingejagt. Tut mir leid.«
    Sie klammerte sich immer noch fest an seinen Arm, und er
    fühlte sie zittern. Er blickte zu ihr nieder, aber er konnte ihr Gesicht nicht sehen, nur ihren Kopf, ohne Hut, mit gelbem Haar, das wie das eines Jungen kurzgeschnitten war. Und er konnte ihre eine Hand auf seinem Arm sehen. Sie war lang, schlank, jung, mit dem gesprenkelten Handgelenk eines Schulmädchens.
    Es war mehrere Jahre her, daß er so eine Hand gesehen hatte. Er wurde sich des weichen, jungen Körpers bewußt, der sich an seinen preßte, und der Wärme, die er ausströmte ; wobei etwas in ihm aufzutauen und sich zu erwärmen schien.
    »Alles in Ordnung, sie sind fort«, sagte er. »Sie brauchen vor nichts mehr Angst zu haben.«
    Das Mädchen erholte sich von ihrem Schreck und trat etwas
    von ihm zurück, die Hand noch auf seinem Arm. »Mir fehlt
    nichts«, sagte sie. »Es ist nichts passiert. Ich bin nicht verletzt.
    Sie haben mich nicht angerührt. Nur so gräßlich ausgesehen.«
    »Sie sind im Grunde ganz harmlos. Ihre Hörner sitzen so weit hinten, daß sie Sie nicht aufspießen können. Es sind sehr dumme Viecher. Sie benehmen sich nur so kämpferisch, wenn sie
    gekalbt haben.«
    Sie standen jetzt getrennt, und sofort überkam sie eine leichte Verlegenheit. Flory hatte sich bereits zur Seite gewandt, um sie die Wange mit dem Muttermal nicht sehen zu lassen. Er sagte:
    »Ich muß schon sagen, das ist eine verrückte Art, sich
    kennenzulernen! Ich habe noch nicht einmal gefragt, wie Sie hierher gekommen sind. Woher sind Sie gekommen - wenn es
    nicht unhöflich ist, danach zu fragen?«
    »Ich bin gerade aus dem Garten meines Onkels gekommen.
    Es war so ein schöner Morgen, da dachte ich, ich würde einen
    -94-
    Spaziergang machen. Und dann kamen diese schrecklichen
    Tiere mir nach. Ich bin nämlich ganz neu in diesem Land.«
    »Ihr Onkel? Ach, natürlich! Sie sind Mr. Lackersteens Nichte.
    Wir haben gehört, daß Sie erwartet werden. Nun, wollen wir nicht

Weitere Kostenlose Bücher