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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Flory um, die bleistiftdünnen schwarzen Brauen zusammengezogen. »Wer ist diese Frau?«
    fragte sie mürrisch.
    Er antwortete so lässig, als gäbe er einem Diener einen
    Befehl:
    »Scher dich augenblicklich fort. Wenn du Schwierigkeiten
    machen solltest, werde ich nachher einen Bambusstock nehmen und dich so lange schlagen, bis du keine heile Rippe mehr hast.«
    Ma Hla May zögerte, zuckte die schmalen Achseln und
    verschwand. Und die andere, die ihr nachstarrte, fragte
    neugierig: »War das ein Mann oder eine Frau?«
    »Eine Frau«, sagte er. »Die Frau eines Dieners, glaube ich.
    Sie wollte nach der Wäsche fragen, weiter nichts.«
    »Oh, sehen burmanische Frauen so aus? Sie sind wirklich komische kleine Geschöpfe. Ich habe eine Menge von ihnen auf meiner Fahrt im Zuge gesehen, aber wissen Sie, ich habe sie alle für Jungen gehalten. Sie sehen genau wie Gliederpuppen aus Holz aus, finden Sie nicht?«
    Sie bewegte sich jetzt zu den Verandastufen hin; für Ma Hla May interessierte sie sich nicht mehr, nun da diese
    verschwunden war.
    Er hielt sie nicht zurück, denn Ma Hla May wäre durchaus
    fähig gewesen, nochmals aufzutreten und eine Szene zu machen.
    Nicht daß das viel ausmachte, denn keines der Mädchen kannte die Sprache der anderen. Er rief Ko S’la, und der kam mit einem großen Schirm aus Ölseide mit Bambusrippen. Er spannte ihn respektvoll am Fuß der Verandatreppe und hielt ihn über den
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    Kopf des Mädchens, als sie herunterkam. Flory begleitete sie bis zum Tor. Sie blieben stehen, um sich die Hand zu reichen, und er wandte sich in dem grellen Sonnenlicht ein wenig zur Seite, um sein Muttermal nicht sehen zu lassen.
    »Mein Mann hier wird Sie heimbegleiten. Es war so
    liebenswürdig von Ihnen, daß Sie hereingekommen sind. Ich
    kann Ihnen nicht sagen, wie es mich freut, Sie kennengelernt zu haben. Sie werden für uns hier in Kyauktada alles ganz anders machen.«
    »Auf Wiedersehen, Mr. - oh, wie komisch! Ich weiß nicht
    einmal, wie Sie heißen.«
    »Flory, John Flory. Und Sie - Miss Lackersteen, nicht wahr?«
    »Ja. Elizabeth. Auf Wiedersehen, Mr. Flory. Und vielen,
    vielen Dank. Dieser schreckliche Büffel. Sie haben mir wirklich das Leben gerettet.«
    »Nicht der Rede wert. Ich hoffe Sie heute abend im Club zu sehen? Ich nehme an, Ihr Onkel und Ihre Tante werden auch
    hinkommen. Dann also auf Wiedersehen - bis später.«
    Er stand am Tor und sah ihnen nach. Elizabeth - ein schöner Name, heutzutage zu selten. Hoffentlich schrieb sie es mit einem Z. Ko S’la trottete in komischem, unbequemem Gang hinter ihr her, hielt ihr den Schirm über den Kopf und bemühte sich,
    seinen Körper möglichst weit weg von ihr zu halten. Ein kühler Windhauch wehte den Hügel herauf. Es war eine dieser kurzen Böen, die manchmal bei kaltem Wetter in Burma wer weiß
    woher kommen und einen mit Durst und Heimweh nach kaltem
    Seewasser, Umarmungen von Wassernixen, Wasserfällen,
    Eishöhlen erfüllen. Der Wind raschelte in dem breiten Gewölbe der goldenen Mohurbäume und ließ die Papierschnitzel des
    anonymen Briefes flattern, die Flory vor einer halben Stunde hinuntergeworfen hatte.
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    VII
    Elizabeth lag auf dem Sofa im Lackersteenschen
    Wohnzimmer, die Füße hochgezogen und ein Kissen hinter dem Kopf, und las Michael Arlens Charmante Leute. Im allgemeinen war Michael Arien ihr Lieblingsautor, aber wenn sie etwas
    Ernstes wollte, neigte sie mehr zu William J. Locke.
    Das Wohnzimmer war ein kühler, in hellen Farben gehaltener Raum mit fast meterdicken, weiß getünchten Wänden; es war
    groß, erschien aber kleiner, als es war, weil überall kleine Tischchen und Messinggegenstände aus Benares herumstanden.
    Es roch nach Chintz und welkenden Blumen. Mrs. Lackersteen war oben und schlief. Draußen lagen die Diener stumm in ihren Zimmern, die Köpfe im todähnlichen Mittagsschlaf an die
    hölzernen Kissen geschmiedet. Mr. Lackersteen schlief
    wahrscheinlich auch in seinem kleinen hölzernen Büro weiter unten an der Straße. Niemand regte sich außer Elizabeth und dem Chokra vor Mrs. Lackersteens Schlafzimmer, der auf dem Rücken lag und, eine Ferse in der Schlinge des Seils, den Punkah bewegte.
    Elizabeth war gerade zweiundzwanzig geworden und war
    Waise. Ihr Vater hatte weniger getrunken als sein Bruder Tom, aber er war ein Mann vom selben Schlage. Er war Teehändler mit wechselndem Glück, aber von Natur aus zu optimistisch, um in glücklichen Phasen Geld zurückzulegen. Elizabeths Mutter war eine

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