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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Männerstimme.
    »Was ist das für ein Lärm?« fragte Elizabeth und blieb stehen.
    »Das klingt genau wie eine Jazzband.«
    »Eingeborenenmusik. Sie haben ein Pwe - das ist so etwas wie ein burmanisches Theaterstück, eine Kreuzung zwische n einem historischen Drama und einer Revue, wenn Sie sich so was vorstellen können. Es wird Sie interessieren, glaube ich.
    Gleich hinter der Biegung dieser Straße.«
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    »Oh«, sagte sie etwas zweifelnd. Sie gingen um die Biegung in grellen Lichtschein. Die ganze Straße war dreißig Meter weit durch die Zuschauer versperrt, die dem Schauspiel zusahen. Im Hintergrund war eine erhöhte Bühne unter summenden
    Petroleumlampen, davor das kreischende und dröhnende
    Orchester; auf der Bühne posierten zwei Männer in Kostümen, die Elizabeth an chinesische Pagoden erinnerten, mit
    Krummschwerten in den Händen. Die ganze Straße war ein
    Meer von den weißen Musselinröcken der Frauen, rosa Schals, die sie um die Schultern geschlungen hatten, und schwarzen Haarzylindern. Einige lagen ausgestreckt auf ihren Matten und schliefen fest. Ein alter Chinese, ein Tablett mit Erdnüssen in den Händen, bahnte sich seinen Weg durch die Menge mit
    trauervollem Singsang »Myaype Myaype!«
    »Wenn Sie wollen, können wir ein paar Minuten
    stehenbleiben und zusehen«, sagte Flory.
    Elizabeth schwindelte fast von dem grellen Licht und dem
    erschreckenden Lärm des Orchesters, aber am meisten
    verblüffte sie der Anblick dieser Menschenmenge, die auf der Straße saß wie im Zuschauerraum eines Theaters.
    »Machen sie ihre Aufführungen immer mitten auf der
    Straße?« fragte sie.
    »In der Regel, ja. Sie schlagen eine primitive Bühne auf, die morgens wieder abgebaut wird. Die Vorstellung dauert die
    ganze Nacht.«
    »Aber ist es gestattet - daß sie die ganze Straße versperren?«
    »O ja. Hier gibt es keine Verkehrsregeln. Es gibt keinen
    Verkehr, den man regulieren könnte, wissen Sie.«
    Das fand sie sehr sonderbar. Mittlerweile hatten sich fast alle Zuschauer auf ihren Matten umgedreht, um die ›Ingaleikma‹
    anzustarren. In der Mitte der Menge standen ein halbes Dutzend Stühle, auf denen ein paar Angestellte und Beamte saßen. Unter ihnen war U Po Kyin, der sich bemühte, seinen Elefantenkörper
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    umzudrehen und die Europäer zu begrüßen. Als die Musik
    aufhörte, kam der pockennarbige Ba Taik hastig durch die
    Menge und machte mit schüchterner Miene eine tiefe
    Verbeugung vor Flory.
    »Allerheiligster, mein Herr U Po Kyin fragt, ob Sie und die junge weiße Dame nicht kommen und ein paar Minuten unser
    Pwe ansehen wollen. Er hat Stühle für sie bereitgestellt.«
    »Sie bitten uns, zu kommen und uns hinzusetzen«, sagte Flory zu Elizabeth. »Mögen Sie das? Es ist ganz lustig. Diese beiden Burschen werden gleich abtreten, und dann kommt ein Tanz.
    Ein paar Minuten - wenn es Sie nicht langweilt?«
    Elizabeth war im Zweifel. Irgendwie erschien es ihr nicht
    richtig oder sogar ungefährlich, sich unter diese stinkenden Eingeborenen zu begeben. Doch da sie Flory traute, der
    vermutlich wußte, was sich schickte, ließ sie sich zu den Stühlen führen. Die Burmanen machten Platz auf ihren Matten und
    starrten ihr schwatzend nach; ihre Schienbeine streiften warme, musselinverhüllte Körper; es roch barbarisch nach Schweiß. U
    Po Kyin beugte sich zu ihr vor, verbeugte sich, so gut er konnte, und sagte durch die Nase:
    »Wollen freundlichst setzen, Madam! Ich bin höchst geehrt, Ihre Bekanntschaft zu machen. Guten Abend, Mr. Flory, Sir. Ein höchst unerwartetes Vergnügen. Hätten wir gewußt, daß Sie uns mit Ihrer Gesellschaft beehren würden, hätten wir für Whiskies und andere europäische Erfrischungen gesorgt. Haha!«
    Er lachte, und seine betelroten Zähne leuchteten im
    Lampenschein wie rotes Stanniol. Er war so riesig und so
    häßlich, daß Elizabeth unwillkürlich vor ihm zurückscheute. Ein schlanker Jüngling in einem purpurroten Longyi verbeugte sich vor ihr und reichte ihr ein Tablett mit zwei Gläsern geeistem gelbem Sorbet. U Po Kyin klatschte scharf in die Hände und rief einem Jungen neben ihm zu : › Hey Haung Galay!‹ Er gab auf burmanisch einige Anweisungen, und der Junge drängte sich
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    zum Rand der Bühne durch.
    »Er sagt ihnen, sie sollen Ihnen zu Ehren ihre beste Tänzerin auftreten lassen«, sagte Flory. »Sehen Sie, da kommt sie.«
    Ein Mädchen, das rauchend im Hintergrund der Bühne
    gehockt hatte, trat vor ins Lampenlicht. Sie war sehr

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