Tage in Burma
Macgregors Wagen und mit einigen fackeltragenden Dienern warteten. Elizabeths Tante trat
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zu ihr und nahm ihre Schultern in ihre zarten Eidechsenhände.
»Du bist doch unsere Nichte Elizabeth? Wir freuen uns so,
dich zu sehen«, sagte sie und gab ihr einen Kuß.
Mr. Lackersteen spähte im Fackelschein über die Schulter
seiner Frau. Er setzte zum Pfeifen an, rief »Teufel nochmal!«, und dann packte er Elizabeth und küßte sie, wärmer als
eigentlich nötig, wie sie fand. Sie hatte keinen der beiden jemals gesehen.
Nach dem Essen saßen Elizabeth und ihre Tante unter dem
Punkah im Wohnzimmer und unterhielten sich. Mr. Lackersteen machte einen Spaziergang durch den Garten, angeblich wegen des Jasmindufts, tatsächlich um sich einem heimlichen Schluck hinzugeben, den einer der Diener ihm durch die Hintertür des Hauses herausgeschmuggelt hatte.
»Meine Liebe, wie wunderschön du bist! Laß mich dich noch
einmal ansehen!« Sie nahm sie bei den Schultern. »Ich finde wirklich, dieser Eton-Haarschnitt steht dir. Hast du dir den in Paris machen lassen?«
»Ja. Alle ließen sich diesen Eton-Schnitt machen. Es steht einem, wenn man einen einigermaßen kleinen Kopf hat.«
»Wunderhübsch! Und diese Schildpattbrille - wirklich eine kleidsame Mode! Ich habe gehört, daß alle - äh -
Demimondänen in Südamerika sie jetzt tragen. Ich hatte keine Ahnung, daß meine Nichte eine so hinreißende Schönheit ist.
Wie alt bist du, sagtest du, Liebes?«
»Zweiundzwanzig.«
»Zweiundzwanzig! Wie entzückt werden alle Männer sein,
wenn wir dich morgen in den Club mitnehmen! Sie sind so
einsam, die Armen, nie sehen sie ein neues Gesicht. Und du warst zwei volle Jahre in Paris? Ich kann mir nicht denken, was sich die Männer dort dabei gedacht haben, daß sie dich
unverheiratet abfahren ließen.«
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»Ich habe leider nicht viele Männer kennengelernt, Tante. Nur Ausländer. Wir mußten ein so stilles Leben führen. Und ich habe gearbeitet«, fügte sie hinzu und dachte, daß sie damit ein ziemlich beschämendes Geständnis machte.
»Natürlich, natürlich«, seufzte Mrs. Lackersteen. »Man hört das von allen Seiten. Schöne Mädchen, die sich ihren
Lebensunterhalt verdienen müssen. Es ist eine Schande! Ich finde es so schrecklich egoistisch, findest du nicht auch, daß diese Männer einfach unverheiratet bleiben, während es so viele arme Mädchen gibt, die nach einem Mann suchen?« Da
Elizabeth nicht darauf einging, setzte Mrs. Lackersteen
wiederum seufzend hinzu: »Also, wenn ich ein junges Mädchen wäre, würde ich irgend jemanden heiraten, buchstäblich irgend jemanden!«
Die Blicke der beiden Frauen begegneten sich. Mrs.
Lackersteen hätte viel zu sagen gehabt, aber sie beabsichtigte jetzt nicht über Andeutungen hinauszugehen. Ein großer Teil ihrer Konversation bewegte sich in Andeutungen; im
allgemeinen brachte sie jedoch ihre Meinung einigermaßen zum Ausdruck. Sie sagte in zärtlich unpersönlichem Ton, wie über ein allgemein interessantes Thema: »Natürlich muß ich dazu sagen, daß es Fälle gibt, wo die Mädchen selbst daran schuld sind, wenn sie sich nicht verheiraten. Das passiert selbst hier draußen manchmal. Erst vor kurzer Zeit gab es einen Fall, an den ich mich erinnere - ein Mädchen kam hierher und blieb ein ganzes Jahr bei ihrem Bruder, und sie hatte Angebote von allen möglichen Männern - Polizisten, Forstbeamte, Angestellte in Holzfirmen mit recht guten Aussichten. Und sie gab allen einen Korb; sie wollte einen vom Indian Civil Service heiraten, wie ich hörte. Nun ja, was konnte daraus werden! Natürlich konnte ihr Bruder sie nicht ewig hier behalten. Und jetzt habe ich gehört, daß sie in der Heimat ist, das arme Kind, und als so etwas wie eine Gesellschafterin arbeitet, also praktisch als Dienstbote. Und nur für fünfzehn Shilling die Woche! Ist so
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etwas nicht furchtbar?«
»Furchtbar!« echote Elizabeth.
Weiter wurde über dieses Thema nicht gesprochen. An dem
Morgen, als Elizabeth von Flory zurückkam, beschrieb sie
Onkel und Tante ihr Abenteuer. Sie saßen beim Frühstück an dem blumenüberladenen Tisch, über ihnen flatterte der Punkah, und der große, storchbeinige mohammedanische Butler in
seinem weißen Anzug und Pagri stand mit einem Tablett in der Hand hinter Mrs. Lackersteens Stuhl.
»Und dann, Tante, etwas so Interessantes! Ein burmanisches Mädchen kam auf die Veranda. Ich hatte noch nie eine gesehen, wenigstens wußte ich nicht, daß es
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