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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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fort. Elizabeth hatte ihm fröstelnd vor Mißbehagen zugehört. Wovon redete der Mann eigentlich? war ihr erster Gedanke. Außerdem hatte sie das verhaßte Wort Kunst mehr als einmal gehört. Zum erstenmal fiel ihr ein, daß Flory ihr völlig fremd war und es unklug gewesen war, mit ihm allein
    auszugehen. Sie sah sich um in dem Meer von dunklen
    Gesichtern und dem fahlen Schein der Lampen; die
    Fremdartigkeit der Szene erschreckte sie fast. Was hatte sie hier zu suchen? Bestimmt war es nicht richtig, so zwischen den
    Schwarzen zu sitzen, fast in Tuchfühlung, im Geruch ihres
    Knoblauchs und ihres Schweißes? Warum war sie nicht im Club mit den anderen Weißen? Warum hatte er sie hierher gebracht unter diese Horde von Eingeborenen, um dieses häßliche, wilde Schauspiel anzusehen?
    Die Musik fing wieder an, und das Mädchen fing wieder an
    zu tanzen. Ihr Gesicht war so dick gepudert, daß es im
    Lampenlicht schimmerte wie eine Kalkmaske mit lebendigen
    Augen dahinter. Mit diesem leichenweißen ovalen Gesicht und diesen hölzernen Gesten wirkte sie monströs wie ein Dämon.
    Die Musik wechselte das Tempo, und das Mädchen begann mit
    blecherner Stimme zu singen. Es war ein Lied im Rhythmus
    flinker Trochäen, heiter, aber wild. Die Menge stimmte ein,
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    hundert Stimmen sangen unisono die rauhen Silben. Noch in der seltsamen gebückten Haltung drehte das Mädchen sich um und tanzte, das Gesäß gegen die Zuschauer herausgestreckt. Ihr seidener Longyi glänzte wie Metall. Während sie Hände und Ellbogen weiter kreisen ließ, wackelte sie mit ihrem Hinterteil hin und her. Dann - ein erstaunliches Bravourstück, das man durch ihren Longyi genau beobachten konnte - begann sie ihre beiden Gesäßbacken unabhängig voneinander im Takte der
    Musik zu bewegen.
    Das Publikum brach in lauten Beifall aus. Die drei Mädchen, die auf der Matte schliefen, wachten im selben Augenblick auf und begannen wild in die Hände zu klatschen. Ein Angestellter rief mit Rücksicht auf die Europäer auf englisch durch die Nase
    »Bravo! Bravo!« Aber U Po Kyin runzelte die Stirn und winkte ab. Er wußte über europäische Frauen Bescheid. Elizabeth war jedoch schon aufgestanden.
    »Ich gehe. Es ist Zeit, daß wir zurückgehen«, sagte sie jäh. Sie wandte den Kopf ab, aber Flory konnte sehen, daß ihr Gesicht gerötet war.
    Er stand bestürzt neben ihr auf. »Aber bitte, können Sie nicht noch ein paar Minuten bleiben? Ich weiß, daß es spät ist, aber sie haben dieses Mädchen uns zu Ehren zwei Stunden eher
    auftreten lassen als im Programm. Nur ein paar Minuten?«
    »Ich kann’s nicht ändern, ich hätte schon vo r einer Ewigkeit zurück sein sollen. Ich weiß nicht, was Onkel und Tante sich dabei denken.«
    Sie begann sofort sich den Weg durch die Menge zu bahnen,
    und er folgte ihr, ohne auch nur Zeit dafür zu haben, den Pwe-Leuten für ihre Mühe zu danken. Die Burmane n machten mit
    mürrischen Gesichtern Platz. Das sah diesen Engländern
    ähnlich, alles umzuwerfen, indem sie nach der besten Tänzerin schickten, um dann, kaum hatte sie angefangen, wegzugehen.
    Ein fürchterlicher Krawall setzte ein, sobald Flory und Elizabeth
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    weg waren; das Pwe-Mädchen weigerte sich, weiterzutanzen,
    und die Zuschauer verlangten, daß sie fortfahre. Aber der Friede wurde wieder hergestellt, als zwei Clowns auf die Bühne eilten, Schwärmer abbrennen ließen und unflätige Spaße machten.
    Flory folgte dem Mädchen niedergeschlagen die Straße
    entlang. Sie ging schnell, den Kopf abgewandt, und ein
    Weilchen wollte sie nicht sprechen. Mußte das passieren, wo sie sich doch so gut vertragen hatten! Er versuchte sich zu
    entschuldigen.
    »Es tut mir so leid! Ich hatte keine Ahnung, daß Sie -«
    »Nicht der Rede wert. Was sollte Ihnen leid tun? Ich habe nur gesagt, daß es Zeit ist, zurückzugehen, weiter nichts.«
    »Ich hätte daran denken sollen. In diesem Land achtet man
    mit der Zeit nicht mehr auf solche Dinge. Das Anstandsgefühl dieser Leute ist nicht so wie unseres - in mancher Hinsicht ist es strenger - aber -«
    »Das ist es nicht! Das ist es nicht!« rief sie ganz ärgerlich.
    Er merkte, daß er es nur noch schlimmer machte. Sie gingen schweigend weiter, er hinter ihr. Ihm war elend zumute. Was für ein Vollidiot war er gewesen. Und doch hatte er die ganze Zeit keine Ahnung, aus welchem Grund sie ihm wirklich so böse
    war. Es war nicht das Auftreten des Pwe-Mädchens an sich, das sie beleidigt hatte; das hatte alles nur

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