Tage in Burma
auch für diejenigen, die seit Jahren bei ihm gewesen sind.
X
Aber Ko S’las Befürchtungen waren verfrüht. Nach zehn
Tagen war Flory Elizabeth noch kaum nähergekommen als bei
der ersten Begegnung. Der Zufall wollte es, daß er sie in diesen zehn Tagen fast für sich allein hatte, da die meisten Europäer im Dschungel waren. Flory selbst hatte kein Recht, in Kyauktada herumzubummeln, denn zu dieser Jahreszeit war die
Holzgewinnung voll im Gange, und unter dem unfähigen
europäischen Aufseher würde in seiner Abwesenheit alles schief gehen. Aber er war geblieben - unter dem Vorwand eines
Fieberanfalls -, während fast täglich verzweifelte Briefe von dem Aufseher über Katastrophen berichteten. Einer der
Elefanten war krank, die Lokomotive der kleinen Bahn, mit der die Teakstämme zum Fluß geschafft wurden, war total kaputt, fünfzehn Kulis waren davongelaufen. Aber Flory zögerte immer noch, außerstande, sich von Kyauktada loszureißen, solange Elizabeth da war, und beständig in dem - bisher nicht sehr erfolgreichen - Bestreben, die ungezwungene und beglückende Freundschaft ihrer ersten Begegnung wieder einzufangen.
Zwar trafen sie sich täglich, vormittags und abends. Jeden Abend spielten sie im Club ein Einzeltennis - denn Mrs.
Lackersteen war zu schlapp und Mr. Lackersteen zu reizbar
dazu -, und hinterher saßen sie zu viert im Salon, spielten Bridge und unterhielten sich. Aber obgleich Flory Stunden in Elizabeths Gesellschaft verbrachte und sie oft allein miteinander waren,
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fühlte er sich dabei nie wohl. Sie unterhielten sich, solange es um Belangloses ging, mit äußerster Freiheit und waren doch einander fern wie Fremde. Er fühlte sich in ihrer Gegenwart steif, er konnte sein Muttermal nicht vergessen: sein zweimal geschabtes Kinn brannte, sein Körper verlangte quälend nach Whisky und Tabak - denn er versuchte, in ihrer Gegenwart
weniger zu trinken und zu rauchen. Nach zehn Tagen schienen sie der Beziehung, die er sich wünschte, nicht nähergekommen zu sein.
Denn irgendwie hatte er nie so zu ihr sprechen können, wie er es sich wünschte. Sprechen, einfach sprechen! Es klingt nach so wenig und ist doch so viel. Wer bis in die mittleren Jahre hinein in bitterer Einsamkeit verbracht hat, unter lauter Leuten, denen seine eigene wahre Meinung Blasphemie bedeutet, dem wird das Bedürfnis, sich einmal auszusprechen, zum größten aller
Bedürfnisse.
Doch mit Elizabeth schien ein ernstes Gespräch unmöglich.
Es war, als ständen sie unter einem Zauber, der all ihre
Gespräche in Banalität absinken ließ; Grammophonplatten,
Hunde, Tennisschläger - dieses ganze trostlose Clubgeschwätz.
Sie schien über nichts anderes sprechen zu wollen. Er brauchte nur ein irgendwie interessantes Thema zu berühren, und gleich nahm ihre Stimme den ausweichenden Ton an, das ›da mach ich nicht mit‹. Ihr Geschmack in Büchern entsetzte ihn, als er darauf kam. Aber sie war jung, sagte er sich, und hatte sie nicht in Paris unter Platanen gesessen und Weißwein getrunken und sich über Proust unterhalten? Später würde sie ihn zweifellos verstehen und ihm die Gefährtin sein, die er brauchte. Vielleicht lag es nur daran, daß er ihr Zutrauen noch nicht gewonnen hatte.
Er war alles andere als taktvoll zu ihr. Wie alle Männer, die viel allein gelebt haben, konnte er sich besser Ideen anpassen als Menschen. Und so begann er, so oberflächlich die Gespräche auch waren, sie zuweilen zu irritieren; weniger durch das, was er sagte, als was er durchblicken ließ. Zwischen ihnen war eine
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Unsicherheit, die schwer zu erklären war und doch oft an
Streitigkeiten grenzte. Wenn zwei Menschen, von denen der
eine lange im Lande gelebt hat, während der andere ein Neuling ist, aufeinander angewiesen sind, ist es unvermeidlich, daß der erstere sich als Cicerone benimmt. Elizabeth machte in diesen Tagen ihre erste Bekanntschaft mit Burma; naturgemäß war
Flory derjenige, der für sie dolmetschte, dieses erklärte und jenes erläuterte. Und was er sagte oder wie er es sagte, rief in ihr einen unbestimmten, aber tiefen Widerspruch hervor. Denn sie bemerkte, daß Flory, wenn er von den ›Eingeborenen‹ sprach, fast immer etwas zu ihren Gunsten sagte. Immer wieder pries er die Bräuche und den Charakter der Burmanen; er ging sogar so weit, sie gegenüber den Engländern vorteilhaft zu beurteilen. Es beunruhigte sie. Schließlich waren Eingeborene zweifellos
interessant, aber schließlich nur
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