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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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Recht, so über die Leute zu
    reden. Schließlich ist das Mädchen noch ein Kind -«
    »Mein lieber alter Esel« - Ellis nahm Flory jetzt fast zärtlich beim Rockaufschlag, da er ja nun ein neues Skandalthema hatte
    -, »mein lieber, lieber alter Esel, mach dir keinen blauen Dunst vor. Du glaubst, das Mädchen wäre ein leichtes Früchtchen - das ist sie nicht. Diese Mädchen, die von zu Hause kommen, sind alle gleich. ›Alles, was Hosen anhat, aber nichts ohne
    Trauschein‹ das ist ihr Wahlspruch, eine wie die andere.
    Warum, glaubst du, ist das Mädchen hierher gekommen?«
    »Warum? Ich weiß nicht. Ich nehme an, weil sie wollte.«
    »Du Narr! Sie ist natürlich hergekommen, um sich einen
    Ehemann zu angeln. Als ob das nicht allgemein bekannt wäre!
    Wenn einem Mädchen alles mißglückt ist, versucht sie es in Indien, wo jedermann nach einer weißen Frau schmachtet. Der indische Heiratsmarkt - so nennt man das. Fleischmarkt wäre treffender. Ganze Schiffsladungen kommen jedes Jahr hierher wie die Kadaver von gefrorenem Hammelfleisch, um sich von
    schmierigen alten Lustgesellen wie dir abtatschen zu lassen.
    Tiefgefrorenes. Saftige Keulen direkt vom Eis.«
    »Was du da sagst, ist widerlich.«
    »Bestes englisches Fleisch von grasgefütterten Hammeln«,
    sagte Ellis mit genüßlicher Miene. »Frische Lieferung.
    Garantiert erstklassig.«
    Er führte pantomimisch vor, wie er mit geilem Geschnüffel eine Hammelkeule untersuchte. Dieser Spaß würde Ellis
    wahrscheinlich lange hinhalten, wie alle seine Spaße. Und es gab nichts, was ihm so heftiges Vergnügen bereitete, wie wenn er eine Frau herunterziehen konnte.
    -128-
    Flory sah Elizabeth an diesem Abend nicht mehr viel. Alle
    waren im Salon, und es herrschte das alberne Geschwätz über nichts wie immer bei solchen Gelegenheiten. Flory konnte sich an dieser Art Unterhaltung nie lange beteiligen. Aber auf
    Elizabeth wirkte die zivilisierte Atmosphäre des Clubs mit all den weißen Gesichtern um sie herum und dem freundlichen
    Anblick der illustrierten Zeitschriften und »Bonzo«-Bilder beruhigend nach dem zweifelhaften Zwischenspiel bei der Pwe-Veranstaltung.
    Als die Lackersteens um neun Uhr aufbrachen, war es nicht
    Flory, sondern Mr. Macgregor, der sie heimgeleitete; wie ein freundliches Sauriermonstrum schlenderte er neben Elizabeth unter den schwachen, gekrümmten Schatten der goldenen
    Mohurstämme. Die Prome-Anekdote und vie le andere fanden
    eine neue Abnehmerin. Jeder Neuling in Kyauktada bekam
    seinen Teil von Mr. Macgregors Unterhaltung ab, denn die
    anderen hatten ihn schon lange als einen Langweiler
    abgeschrieben, und im Club war es ein Zeitvertreib, seine
    Geschichten zu unterbrechen. Aber Elizabeth war von Natur aus eine gute Zuhörerin. Mr. Macgregor fand, daß er selten ein so intelligentes Mädchen kennengelernt hatte.
    Flory blieb noch ein wenig länger im Club und trank mit den anderen. Es gab viel schmutziges Gerede über Elizabeth. Der Streit um Dr. Veraswamis Wahl war fürs erste zurückgestellt.
    Außerdem war die Bekanntmachung, die Ellis am Vorabend
    angeschlagen hatte, abgenommen worden. Mr. Macgregor hatte sie bei seinem Vormittagsbesuch im Club gesehen und in seiner gerechten Art sofort auf ihrer Entfernung bestanden. Die Notiz war also unterdrückt worden; nicht aber bevor sie ihren Zweck erfüllt hatte.
    IX
    Während der nächsten vierzehn Tage geschah sehr viel.
    -129-
    Die Fehde zwischen U Po Kyin und Dr. Veraswami war nun
    voll im Gang. Die ganze Stadt war in zwei Parteien gespalten, jeder Eingeborene vom Magistrat bis hinab zu den Basarkehrern stand auf der einen oder anderen Seite, und alle waren bereit, zu gegebener Zeit einen Meineid zu leisten. Aber von den beiden Parteien war die des Doktors viel kleiner und verleumderisch weniger rührig. Der Herausgeber des Burma-Patrioten war wegen Aufwiegelung und Verleumdung vor Gericht gebracht
    worden, eine Kaution hatte man abgelehnt. Seine Verhaftung hatte in Rangun einen kleine Aufstand hervorgerufen, der von der Polizei unterdrückt wurde, wobei nur zwei Aufständische ums Leben kamen. Im Gefängnis trat der Herausgeber in den
    Hungerstreik, brach aber nach sechs Stunden zusammen.
    Auch in Kyauktada war alles mögliche geschehen. Ein Bandit namens Nga Shwe O war unter geheimnisvollen Umständen aus
    dem Gefängnis ausgebrochen. Und es hatte einen ganzen
    Haufen Gerüchte über einen geplanten Eingeborenenaufstand im Distrikt gegeben. Der Mittelpunkt der Gerüchte - die bisher

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