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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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im Basar! Ich
    könnte zwanzig Automobile kaufen, wenn ich sie haben wollte.
    Und welchen Zweck würde ein Automobil hier in diesem Ort
    haben? Nein, es ist etwas viel Großartigeres als das.«
    »Was dann?«
    »Es ist dies. Ich weiß zufällig, daß in einem Monat die
    Europäer einen Eingeborenen zum Mitglied ihres Clubs wählen werden. Sie tun das nicht gern, aber sie werden den Befehl vom Kommissar bekommen, und sie werden gehorchen. Natürlich
    würden sie Veraswami wählen, weil er der höchste eingeborene Beamte im Distrikt ist. Aber ich habe Schande über Veraswami gebracht. Und so ...«
    »Was?«
    U Po Kyin antwortete einen Augenblick nicht. Er sah Ma Kin an, und sein breites gelbes Gesicht mit dem ausladenden Kinn und den zahllosen Zähnen hatte einen so milden Ausdruck, daß es fast kindlich wirkte. In seinen gelbbraunen Augen hätten sogar Tränen stehen können. Er sagte mit dünner, fast
    ehrfürchtiger Stimme, als wäre er von der Größe dessen, was er sagen wollte, überwältigt:
    »Verstehst du nicht, Weib? Verstehst du nicht, daß, wenn
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    Veraswami in Ungnade ist, ich selbst in den Club gewählt
    werde?«
    Die Wirkung war niederschmetternd. Kein weiteres Wort der
    Widerrede kam von Ma Kin. Die Großartigkeit von U Po Kyins Plan hatte sie sprachlos gemacht.
    Und nicht ohne Grund, denn alle Leistungen in U Po Kyins
    Leben waren nichts im Vergleich dazu. Es ist ein echter
    Triumph - und würde es in Kyauktada doppelt sein - für einen unteren Beamten, sich in den Europäischen Club
    hineinzuschlängeln. Den Europäischen Club, diesen erhabenen, geheimnisvollen Tempel, dieses heiligste aller Heiligtümer, zu dem der Eintritt viel schwerer zu erreichen war als zum
    Nirwana! Po Kyin, der nackte Gassenjunge aus Mandalay, der stehlende Angestellte und unbekannte Beamte, würde diesen
    geweihten Ort betreten, Europäer ›alter Junge‹ nennen, Whisky-Soda trinken und auf dem grünen Tisch weiße Kugeln hin und her stoßen. Ma Kin, das Dorfmädchen, das zuerst das Licht
    durch die Spalten einer mit Palmblättern gedeckten
    Bambushütte gesehen hatte, würde auf einem hohen Stuhl
    sitzen, die Füße in seidene Strümpfe und hochhackige Schuhe gezwängt (ja, dort würde sie tatsächlich Schuhe tragen!) und sich mit englischen Damen auf Hindostani über Baby windeln unterhalten! Es war eine Aussicht, die jeden schwindeln
    gemacht hätte.
    Lange blieb Ma Kin stumm und dachte, die Lippen halb
    geöffnet, an den Europäischen Club und die Pracht, die er wohl enthielt. Zum erstenmal in ihrem Leben betrachtete sie U Po Kyins Intrigen ohne Mißbilligung. Vielleicht war es eine noch größere Heldentat als die Erstürmung des Clubs, daß er in Ma Kins gütiges Herz ein Körnchen Ehrgeiz gesät hatte.
    XIII
    Als Flory durch das Tor des Krankenhausgrundstückes ging,
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    kamen vier zerlumpte Kloputzer an ihm vorbei, die einen in Sackleinwand gewickelten toten Kuli zu einem fußtiefen Grab im Dschungel trugen. Flory überquerte die ziegelrote Erde des Hofes zwischen den Krankenhausschuppen. Überall auf den
    breiten Veranden lagen stumm und regungslos Reihen von
    graugesichtigen Männern auf unbezogenen Charpoys. Ein paar schmutzige Köter, die angeblich amputierte Gliedmaßen
    verschlangen, dösten zwischen den Pfeilern des Gebäudes vor sich hin oder fingen Flöhe. Die ganze Anstalt machte einen verschlampten und verkommenen Eindruck. Dr. Veraswami
    bemühte sich mit besten Kräften, sie sauber zu halten, konnte aber gegen den Staub und die Wasserknappheit und die Trägheit der Straßenkehrer und der nur halb ausgebildeten chirurgischen Assistenten nicht ankommen.
    Flory erhielt die Auskunft, der Doktor sei in der Abteilung für ambulante Patienten. Es war ein Raum mit getünchten Wänden, nur mit einem Tisch und zwei Stühlen möbliert, und an der
    Wand hing ein kaum zu erkennendes, verstaubtes Porträt der Königin Victoria. Ein Zug von burmanischen Bauern mit
    knorrigen Muskeln unter ihren verblichenen Lumpen kam im
    Gänsemarsch herein und stellte sich am Tisch an. Der Doktor war in Hemdsärmeln und triefte von Schweiß. Er sprang mit
    einem Freudenruf auf, nötigte Flory mit seiner üblichen
    nervösen Hast auf den leeren Stuhl und holte aus einer
    Schublade des Tuches eine Blechschachtel mit Zigaretten.
    »Was für ein reizender Besuch, Mr. Flory! Bitte, machen Sie sich’s gemütlich - das heißt, soweit man sich’s in einem solchen Raum gemütlich machen kann, haha! Nachher werden wir uns
    bei mir

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