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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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zu Hause bei einem Bier und anderen Annehmlichkeiten unterhalten. Entschuldigen Sie mich freundlichst, wenn ich diesen Haufen hier behandle.«
    Flory setzte sich, und sofort brach ihm heißer Schweiß aus, der sein Hemd durchnäßte. Es war in dem Raum zum Ersticken heiß. Die Bauern dünsteten Knoblauch aus allen Poren. Bei
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    jedem, der an den Tisch trat, sprang der Doktor aus seinem Stuhl auf, gab dem Patienten einen Stoß in den Rücken, legte sein schwarzes Ohr an seine Brust, bombardierte ihn mit mehreren Fragen in erbärmlichem Burmanisch, dann sprang er wieder
    zum Tisch und kritzelte ein Rezept. Die Patienten brachten die Rezepte über den Hof zu dem Lager-Apotheker, der ihnen
    Flaschen mit Wasser und verschiedenen Pflanzenfarbstoffen
    gab. Der Apotheker erhielt sich größtenteils durch den Verkauf von Drogen, denn die Regierung bezahlte ihm nur
    fünfundzwanzig Rupien im Monat. Davon wußte der Doktor
    allerdings nichts.
    An den meisten Vormittagen hatte der Doktor keine Zeit, die ambulanten Patienten selbst zu behandeln, sondern überließ sie einem seiner Chirurgie-Assistenten. Die diagnostischen
    Methoden der Assistenten waren kurz und bündig. Man fragte einfach den Patienten: »Wo haben Sie Schmerzen? Kopf,
    Rücken oder Bauch?«, und je nach der Antwort händigte man
    ihm ein Rezept von einem der drei Stapel aus, die vorher
    vorbereitet wurden. Die Patienten hatten diese Methode viel lieber als die des Doktors. Der Doktor hatte so eine Art, sie zu fragen, ob sie eine Geschlechtskrankheit gehabt hätten - eine unfeine, sinnlose Frage -, und manchmal entsetzte er sie noch mehr, indem er eine Operation vorschlug - »Bauch schneiden«
    nannten sie es. Die meisten von ihnen wären lieber ein
    dutzendmal gestorben, als sich den »Bauch schneiden« zu
    lassen.
    Als der letzte Patient verschwand, sank der Doktor auf seinen Stuhl und fächelte sich das Gesicht mit dem Rezeptblock.
    »Ach, diese Hitze! Manchmal denke ich nach solch einem
    Vormittag, ich kriege den Knoblauchgeruch nie wieder aus der Nase! Ich finde es erstaunlich, wie sie bis aufs Blut davon durchtränkt sind. Sind Sie nicht erstickt, Mr. Flory? Ihr
    Engländer habt einen fast zu hoch entwickelten Geruchssinn.
    Was für Qualen müssen Sie alle in unserem schmutzigen Osten
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leiden.«
    »Laßt eure Nasen hinter euch, ihr, die ihr hier eintretet, was?
    Das könnten sie über den Suezkanal schreiben. Sie haben
    offenbar heute vormittag viel zu tun?«
    »Wie immer. Aber, mein Freund, wie entmutigend ist die
    Arbeit eines Arztes in diesem Lande! Diese Dorfbewohner
    schmutzige, unwissende Wilde! Wir können nicht mehr tun als sie auffordern, ins Krankenhaus zu kommen, und sie werden
    lieber am Brand sterben oder zehn Jahre lang einen
    melonengroßen Tumor mit sich herumtragen, als sich dem
    Messer auszuliefern. Und was für Medikamente ihnen ihre
    eigenen sogenannten Doktoren geben! Bei Neumond
    gesammelte Kräuter, Barthaare von Tigern, Rhinozeroshorn,
    Urin, Menstruationsblut! Wie Menschen so die Medizin trinken können, ist widerlich.«
    »Immerhin pittoresk! Sie sollten ein burmanisches
    Arzneibuch zusammenstellen, Doktor. Es würde fast so gut
    werden wie Culpeper.«
    »Barbarisches Vieh, barbarisches Vieh«, sagte der Doktor,
    während er sich in sein weißes Jackett kämpfte. »Wollen wir zu mir nach Hause gehen? Da ist Bier, und vielleicht sind noch ein paar Stückchen Eis da. Ich habe um zehn eine Operation,
    eingeklemmter Bruch, sehr dringend. Bis dahin habe ich frei.«
    »Ja. Ehrlich gesagt, hätte ich gern etwas mit Ihnen
    besprochen.«
    Sie gingen über den Hof zurück und stiegen die Stufen zur
    Veranda des Doktors hinauf. Nachdem der Doktor in der
    Eistruhe nachgefühlt und festgestellt hatte, daß das Eis zu lauwarmem Wasser geschmolzen war, machte er eine Flasche
    Bier auf und rief nervös den Dienern zu, noch einige Flaschen in eine mit nassem Stroh gefüllte Schaukel zu legen. Flory stand an der Verandabrüstung und blickte hinaus; seinen Hut hatte er noch auf. Tatsächlich war er hergekommen, um sich zu
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    entschuldigen. Er war dem Doktor fast vierzehn Tage lang aus dem Wege gegangen - seit er seinen Namen unter die
    beleidigende Bekanntmachung im Club gesetzt hatte. Aber die Entschuldigung mußte ausgesprochen werden. U Po Kyin war
    ein sehr guter Menschenkenner, aber er hatte sich geirrt, wenn er annahm, daß zwei anonyme Briefe genügten, um Flory auf die Dauer von seinem Freund zu verscheuchen.
    »Hören Sie,

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