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Tage in Burma

Tage in Burma

Titel: Tage in Burma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: George Orwell
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ihn nicht ergreifen konnte. »Was willst du denn, wenn es kein Geld ist?«
    »Warum haßt du mich?« jammerte sie. »Was habe ich dir
    getan? Ich habe dein Zigarettenetui gestohlen, aber darüber
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    warst du nicht böse. Du willst diese weiße Frau heiraten, ich weiß es, alle wissen es. Aber was macht das, warum mußt du mich wegschicken? Warum haßt du mich?«
    »Ich hasse dich nicht. Ich kann das nicht erklären. Steh auf, bitte, steh auf.«
    Sie weinte jetzt ganz ohne Scham. Schließlich war sie kaum mehr als ein Kind. Sie sah ihn durch ihre Tränen flehend an und suchte nach einem Zeichen der Barmherzigkeit. Dann, etwas
    Schreckliches, sie legte sich, der Länge nach ausgestreckt, flach aufs Gesicht.
    »Steh auf, steh auf!« rief er auf englisch. »Ich kann das nicht ertragen - es ist zu abscheulich!«
    Sie stand nicht auf, sondern kroch wie ein Wurm über den
    Fußboden bis zu seinen Füßen. Ihr Körper machte einen breiten Streifen auf dem staubigen Fußboden. Sie lag ausgestreckt vor ihm, das Gesicht verborgen, die Arme ausgestreckt, wie vor dem Altar eines Gottes.
    »Herr, Herr«, wimmerte sie, »willst du mir nicht vergeben?
    Dies eine Mal, nur dies eine Mal! Nimm Ma Hla May wieder zu dir. Ich will deine Sklavin sein, niedriger als deine Sklavin. Tu alles, nur schick mich nicht weg.«
    Sie hatte ihre Arme um seine Knöchel geschlungen und küßte tatsächlich seine Schuhe. Er stand hilflos, die Hände in den Taschen, da und blickte auf sie herab. Flo kam gemächlich
    herein, ging zu Ma Hla May und schnupperte an ihrem Longyi.
    Sie wedelte unbestimmt mit dem Schwanz, als erkenne sie den Geruch. Flory konnte es nicht ertragen. Er bückte sich, nahm Ma Hla May bei den Schultern und hob sie auf die Knie.
    »Steh jetzt auf«, sagte er. »Es verletzt mich, dich so zu sehen.
    Ich will für dich tun, was ich kann. Was hat das Weinen für einen Zweck?«
    Sofort schrie sie in neuer Hoffnung auf. »Dann willst du mich wieder zu dir nehmen? O Herr, nimm Ma Hla May wieder zu
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    dir! Kein Mensch wird es erfahren. Ich werde hier bleiben, wenn diese weiße Frau kommt, sie wird glauben, ich wäre die Frau von einem Diener. Willst du mich nicht wieder zu dir nehmen?«
    »Ich kann nicht. Es ist unmöglich«, sagte er, sich wieder
    abwendend.
    Sie hörte die Endgültigkeit in seinem Ton und stieß einen
    rauhen, häßlichen Schrei aus. Sie beugte sich wieder zu einem Shiko vor und schlug mit der Stirn auf den Boden. Es war furchtbar. Und noch furchtbarer als alles, was ihm in der Brust weh tat, war die Anmutlosigkeit, die Niedrigkeit des Gefühls, die diesem Flehen zugrunde lag. Denn in alledem war nicht ein Funken Liebe zu ihm. Wenn sie weinte und vor ihm kroch, so war es nur um die Stellung, die sie einmal als seine Mätresse gehabt hatte, das bequeme Leben, die teuren Kleider und die Herrschaft über die Dienstboten. Darin lag etwas Erbärmliches, für das es keine Worte gab. Hätte sie ihn geliebt, hätte er sie mit viel weniger Gewissensbissen von seiner Tür verjagen können.
    Kein Kummer ist so bitter wie der ohne jeglichen Edelmut. Er bückte sich und nahm sie in die Arme.
    »Hör zu, Ma Hla May«, sagte er, »ich hasse dich nicht, du
    hast mir nichts Böses getan. Ich bin es, der dir unrecht getan hat.
    Aber das ist jetzt nicht zu ändern. Du mußt heimgehen, und später werde ich dir Geld schicken. Wenn du willst, kannst du im Basar einen Laden aufmachen. Du bist jung. Dies wird dir nichts ausmachen, wenn du Geld hast und einen Ehemann
    findest.«
    »Ich bin ruiniert!« jammerte sie wieder. »Ich werde mich
    töten. Ich werde von der Landungsbrücke in den Fluß springen.
    Wie kann ich nach dieser Schande weiterleben?«
    Er hielt sie in den Armen, beinahe zärtlich. Sie klammerte sich fest an ihn, drückte das Gesicht an sein Hemd, und ihr Körper schüttelte sich vor Schluchzen. Der Duft des
    Sandelholzes stieg ihm in die Nüstern. Vielleicht glaubte sie
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    auch jetzt noch, sie könne, wenn ihre Arme ihn umschlangen und ihr Körper sich an den seinen preßte, ihre Macht erneuern.
    Er machte sich sanft los, und als er dann sah, daß sie nicht wieder auf die Knie fiel, trat er ein Stück von ihr zurück.
    »Das ist genug. Du mußt jetzt gehen. Und hier sind die
    fünfzig Rupien, die ich dir versprochen habe.«
    Er zog seinen Blechkasten unter dem Bett hervor und nahm
    fünf Zehnrupienscheine heraus. Sie verstaute sie schweigend im ihres Ingyi. Ihre Tränen waren ganz plötzlich versiegt. Ohne zu

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