Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
haben mir so leid getan.«
»Wieso?«
»Das mit den Bällen«, sagt Jenny: »Sie haben sich ereifert, Sie haben Ihr ganzes Geld verschleudert.«
»Allerdings.«
»Warum das?«
»Ja«, lacht Gottlieb: »das war sehr blöd von mir, aber der Kerl mit dem Monokel hat mich so an meinen Direktor erinnert –.«
Ein Stücklein gehen sie wieder Arm in Arm, Jenny hat Feierabend, vermutlich auch Hunger, jedenfalls blickt sie nach jedem Stand, wo Würstchen verkauft werden, und wie hübsch wäre es jetzt, wenn Gottlieb sie einladen könnte: Gans mit Spätzli, Preiselbeer, Salat nach Jahreszeit. Von neuem steigt ihm die Wut; er kann sie nicht verwürgen.
»Wenn Sie unseren Direktor kennen würden«, sagt Gottlieb: »dann könnten Sie mich schon verstehen. Gestern habe ich ihm ganz freundlich gesagt, ich brauche mehr Lohn. Gelacht hat er! So einer ist das –.«
Einmal stehen sie vor dem Restaurant; durch die Scheibe sieht man Hummer, Kellner, Mayonnaise, Flaschen, Pelze.
»Kommen Sie«, sagt Jenny: »Zu Hause habe ich noch eine Wurst –.«
Sie ist ein liebes Ding, kein Zweifel, sie schiebt ihre Finger zwischen die seinen, so leid tut er ihr, und auch seine Gefühle sind ehrlich, man muß zusammenhalten, Jenny hat gewußt, daß er kein Geld mehr hat, und dennoch mag sie ihn, das kommt nicht jeden Sonntag vor. Jenny wohnt am Fischmarkt, eine düstere Gegend, aber Gottlieb ist froh, nicht allein zu sein. Vor der Haustüre, als Jenny nach ihrem Schlüssel kramt, sagt er:
»Ich heiße Knoll, Gottlieb Knoll.«
Jenny schließt auf.
»Komm«, sagt sie.
Das war der Sonntag.
Im Gefängnis, das sei nicht verschwiegen, haben sie den Ringer wieder ganz höflich behandelt. Sie haben sogar seine Fesseln gelöst, zumal sie für seine beispiellose Gestalt viel zu klein sind,allerdings gegen sein Ehrenwort, daß er sich auch seinerseits wieder an die Regeln der Höflichkeit hält und das Eisengitter nicht herausreißt. Es wäre ihm nicht ein Leichtes, aber ein Mögliches. Indessen ist er vernünftig genug, sein Ehrenwort zu halten und die Nacht auf der Pritsche zu verbringen, obzwar sie zu kurz ist; immerhin genügt sie, um den Dôle auszuschlafen. Wenn er die Eisengitter ausreißt, sagen sie, dann gibt es eine Buße, und wenn er diese Buße nicht bezahlen kann, kommt er abermals ins Gefängnis; das Ausbrechen hat also gar keine Zukunft, das sieht er ein. Überhaupt sind die Leute viel höflicher, wenn man sich nicht wehrt …
Die Nacht mit Jenny – nur so viel sei gesagt: Gottlieb träumt von einem toten Mandarin, und als er erwacht, ist er sehr glücklich, daß es nur ein Traum gewesen ist, er ist noch nie mit einem Mädchen so glücklich gewesen … Natürlich verspätet er sich, und bevor Gottlieb seine Ausrede starten kann, weiß er, daß er auf der Stelle entlassen ist, wenn das noch einmal vorkommt.
Kleinlaut geht er an sein Pult.
»Nun?« grinsen die andern: »Wie geht es mit der chinesischen Erbschaft?«
Das muß er noch manchmal anhören …
Genau sieben Wochen lang: – bis zu dem denkwürdigen Montag, wo die liebe Jenny schier verzweifelt, weil sie es kommen sieht, daß Gottlieb seinen letzten Bus versäumt. Er wird zu spät kommen und auf der Stelle entlassen sein. Es ist genau sieben Uhr und vierunddreißig Minuten; Jenny streicht ihm ein Brot, Gottlieb gurgelt noch immer hinter der spanischen Wand, und in elf Minuten geht der Bus, Jenny tut alles für ihn, gießt Kaffee ein und dazu kalte Milch, damit er sofort trinken kann.
»Gottlieb«, sagt sie: »Du kommst zu spät!«
Seine Antwort: gurgeln.
»Gottlieb, es ist sieben Uhr siebenunddreißig. Du machst, bis sie dich entlassen. Das hast du selber gesagt: wenn du noch einmal zu spät ins Geschäft kommst –«
Jenny ist sprachlos, sie traut ihren ungewaschenen Augennicht: Gottlieb kommt hinter der spanischen Wand hervor, trägt einen Morgenrock, wie man sie sonst nur im Schaufenster sieht, und dazu eine Ruhe, eine Ruhe …
»Gottlieb!«
»Gib mir einen Kuß«, sagt er.
»Was soll das heißen?«
Jenny gibt den Kuß, damit keine Zeit verlorengeht, und woher er diesen stinknoblen Morgenrock hat, wird sie ein andermal fragen.
»Trink«, sagt sie: »Die Milch ist kalt.«
Gottlieb ist sehr gelassen:
»Jennylein, ich muß dir etwas sagen –«
»Was denn?«
»Aber du darfst nicht erschrecken!«
»Gekündigt?«
»Wenn es nur das wäre –.«
»Gottlieb, was ist denn los?«
Er faßt sie an beiden Armen, sein Lächeln ist sonderbar, er zieht sie
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