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Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Tagebuch 1946-1949 (German Edition)

Titel: Tagebuch 1946-1949 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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auf sein Knie.
    »Jennylein«, sagt er: »ich muß dich etwas fragen, etwas sehr Ernstes sozusagen –«
    »In sechs Minuten geht dein Bus.«
    »Antworte mir ganz aufrichtig!«
    »Klar, natürlich.«
    Und dann schluckt er ein wenig:
    »Jennylein, habe ich mich verändert?«
    »Wieso verändert –.«
    »Ja oder nein?«
    »Bist du mir untreu?« fragt sie.
    »Wenn es nur das wäre –.«
    »Du machst mir wirklich Angst«, sagt Jenny: »Wieso sollst du dich denn verändert haben?«
    Er schaut sie an.
    »Unser Samstag, unser Sonntag, sag aufrichtig, ob es schön war oder nicht.«
    »Dummkopf!«
    »Ich meine, war ich anders als sonst?«
    »Übermütig bist du gewesen, ja –«
    »Aber nicht anders? Wie soll ichs sagen: nicht herrschsüchtig oder so, nicht eigensinnig, nicht unerträglich?«
    Jenny lacht ihn nur aus, gibt ihm nochmals einen Kuß, einen zärtlichen, aber einen kurzen, denn es ist nun wirklich allerhöchste Zeit; er müsse sich wie ein Affe beeilen, meint sie. Aber das tut er gar nicht.
    »Siehst du«, sagt er lächelnd, doch blaß vor Ernst: »dann bin ich zufrieden – dann bin ich beruhigt – dann kann ich es dir ja sagen … Nämlich die Erbschaft ist wirklich gekommen.«
    Jenny kreischt.
    »Die von dem Mandarin.«
    Jenny ist anzusehen wie eine tragische Maske aus dem antiken Theater, alles offen, Augen und Mund, offen und stumm; während Gottlieb sich eine Zigarette nimmt.
    »Tja«, sagt er, »so ist das.«
    Der Bus fährt ohne ihn … Schon am Samstag ist es gekommen, ein Brieflein, eingeschrieben, ein Scheck, daß einem jeden, wenn man ihm die Summe nennen würde, Hören und Sehen verginge. Gottlieb wollte nichts davon sagen, damit sie noch einmal ein schönes Wochenende haben, hier in dieser Bude am Fischmarkt. Es war eine kleine Bude, gewiß, aber es war eine nette Zeit, denkt Gottlieb, trotz Gestank aus dem Hinterhof … Das erste, was Jenny dazu sagt:
    »Drum –!«
    »Was?«
    »Drum hast du diesen Morgenrock gekauft?«
    »Ja«, lächelt er etwas verlegen: »ich wollte nur wissen, ob es stimmt, weißt du, mit diesem Papier. Ob das wirkliches Geld ist. Ich geh in die Bank. Was wollen Sie? Ich zeige den Scheck. Bitte sehr, und plötzlich ist der windelweich, führt mich durch die Halle, verbeugt sich immerzu, bis ich in einem großen Zimmer sitze, ganz allein, weißt du, nichts als Leder und Nußbaum. Bitte sehr! Mir läuft der Schweiß. Du, die geben mir wirkliches Geld. Das kann nicht stimmen! denke ich. Und ich geh in den nächstenLaden. Bitte, und die geben mir, was ich will, ohne Wimperzucken. Und an der Tür verbeugen sie sich, als wäre ich selber ein chinesischer Mandarin –.«
    Pause.
    »Ich bin so froh, Jennylein, daß du sagst, ich habe mich nicht verändert.«
    Und indem er in die Tasche greift:
    »Weißt du, wo Calcutta liegt?«
    »Calcutta –?«
    »Dort befindet sich zur Zeit unsere Yacht«, sagt Gottlieb und liest den Zettel vor: »Item eine chinesische Yacht, zur Zeit in den Gewässern von Calcutta, inbegriffen die hundertzwanzig Ruderknechte; item sämtliche Ländereien, inbegriffen die Menschen darauf; item die Fabriken –«
    »Fabriken?«
    »Schwarz auf weiß.«
    »Was wollen wir denn damit?«
    »Jennylein!«
    »Verstehst du dich auf Fabriken?«
    »Mach dir keine Sorge«, lacht Gottlieb: »das mußt du richtig begreifen. Item sämtliche Fabriken; was verstehe ich davon, wie man Porzellan macht oder Glühbirnen oder Seide, und doch werden die Fabriken laufen, unsere Fabriken! Weil die Arbeiter, die es wissen, ebenfalls leben müssen, und wenn sie nicht sterben wollen, müssen sie in die Fabrik, gleichviel wem sie gehört. Müssen! ohne daß ich sie mit der Geißel zwinge – du wirst schon sehen!«
    Jenny umarmt ihn:
    »Du!«
    »Komm, laß mich weiter lesen –.«
    »Du«, schwärmt sie: »am tollsten finde ich die Yacht – aber wie kommen wir nach Calcutta?«
    »Die Yacht kommt hierher.«
    »Hierher?«
    »Habe ich bereits gedrahtet.«
    »Wie ist das möglich?«
    »Bitte«, sagt Gottlieb mit einer Gelassenheit, die er bisher nur an seinem Direktor gekannt hat: »inbegriffen hundertzwanzig Ruderknechte –«
    Hier klopfte es.
    »Herein?«
    Es klopft ein zweites Mal.
    »Herein!«
    Es klopft ein drittes Mal.
    »Teufel nochmal! Herein!«
    Und dann, wie schon der alte Brauch mit dem dreifachen Klopfen hat vermuten lassen, erscheint der Harlekin, fröhlich und beflissen, etwas dienerisch auch er, aber sicher im Auftreten, geradezu weltmännisch; er sagt:
    »Die Leutchen sind

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