Tagebuch 1946-1949 (German Edition)
ich in Betrachtung der beiden Säulchen: »oder wie ist das?«
»O ja, hier wohnen Arbeiter.«
Wir verstehen uns nicht ganz; meine Fragen, ich fühle es, wirken so, wie sie genommen werden, etwas polizeilich. Einen Grundriß suchend, um Auskunft ohne weitere Worte zu finden, gestatte ich mir, eigenhändig zu blättern; daß ich so beharrlich bei hölzernen Häuschen verweile, die keine Säulen haben, verschlechtert die Stimmung noch weiter. Ein Grundriß: Stube, Schlafraum, Küche. Nett, einfach, bekannt. Zu sagen wage ich nichts mehr. Ich bin die Treppe hinaufgegangen, um etwas kennenzulernen auf dem Gebiet, wo ich fachliche Voraussetzungen habe; ich stehe da wie ein Spitzel, blätternd, spürbar von der Seite betrachtet –
(Mißtrauen als körperliches Unbehagen.)
Jeden Abend im Theater. Viel gute Schauspieler, aber keine Spielleiter, keine neuen. Und keine eignen Dichter, keine neuen. Oder sie spielen sie nicht; auch möglich. Als könnte es ohne lebende Dichter, eigene, ein lebendiges Theater geben! Nachher wieder in Gesellschaft, Künstler, Kritiker, Offiziere der Besatzung, Ärzte, Beamte, Wirtschaftler, alles redet vom Theater, klug, lebhaft und neugierig. Etwas Betörendes; mindestens für unsereinen: Theater als öffentliches Interesse. Mit der Zeit erschrickt man vielleicht, indem man es als Ausflucht empfindet. Später begreift man es wieder; worüber sollen sie denn sprechen?
»Haben Sie Gründgens gesehen?«
»Noch nicht.«
»Müssen Sie aber!«
»Ich weiß.«
»Hier tut sich was, wissen Sie, wie vielleicht nirgends in der Welt –!«
(Was?)
Grunewald, Krumme Lanke, Schlachtensee, Wannsee, eine Landschaft, die mich schon heute, kaum haben wir die Fahrkarten bestellt, mit sicherem Heimweh erfüllt. Was ist es? Die Kiefern im Sand, der Himmel zwischen den Kiefern, die Luft, die spröde Weite – jedenfalls fühle ich mich unbändig wohl, man kennt sich selber nicht, oft versteige ich mich zur fixen Idee, daß ich in dieser Luft ein ganz andrer, ein durchaus fröhlicher und sprühender Kerl geworden wäre, komme mir vor wie ein Fisch gesetzteren Alters, der eines Tages, Gott weiß wieso, nicht mehr im Aquarium ist mit den spärlichen Bläschen, sondern im fließenden Wasser: Ha! denkt er …
Frank, unser Gastgeber, erzählt mir einen Fall aus der sogenannten Russenzeit, die auf den Nerven mancher Frauen, aber auch vieler Männer schwerer lastet als die Bombenzeit.
Seine Schilderung:
Mai 1945, Berliner Westen, Keller eines schönen und wenig zerstörten Hauses, oben die Russen, Lärm, Tanz, Gelächter, Siegesfeier, im Keller verstecken sich die Frau und ihr Mann, Offizier der Wehrmacht, der aus der Gefangenschaft entwichen ist, keinen andern Anzug hat und keinesfalls erblickt werden darf. Eines Tages kommt einer herunter, Wein suchend, sprengt die Waschküchentüre. Die Frau muß öffnen. Ihr Mann versteckt sich. Ein ziemlich betrunkener Bursche, Ordonnanz. Natürlich soll sie hinaufgehen. Ob der Kommandant deutsch verstehe? Der Bursche bejaht. Ihre Hoffnung, sich durch Sprechen retten zu können. Sein Gestammel über die vielen feinen Bücher. Sie erbittet sich eine Frist von einer halben Stunde. Ihr Mann will sie nicht gehen lassen; aber wenn die Russen herunterkommenund ihn sehen? Sie zieht ihr bestes Kleid an, ein Abendkleid; sie versprechen sich, gemeinsam aus dem Leben zu gehen, wenn es nicht gelingt. Oben trifft sie eine Gruppe von ziemlich betrunkenen Offizieren. Sie als große Dame. Nach etlicher Anrempelung, die sie mit einer Ohrfeige erfolgreich verwehrt, gelingt es immerhin, den Oberst allein zu sprechen. Ihr Anliegen, ihre Bitte um menschliche Behandlung und so weiter. Er schweigt. Getrieben von seinem Schweigen, das sie nur für grimmiges Mißtrauen halten kann, geht sie so weit, die Geschichte ihres Mannes preiszugeben: um sein Vertrauen zu erzwingen. Als sie endlich begreift, daß der Oberst kein deutsches Wort versteht, bricht sie zusammen. Sie sieht sich in einer Falle. Der Oberst holt den Burschen, er solle übersetzen; in diesem Augenblick kommt sie in den Besitz einer Waffe, die sie unter ihrem Kleid versteckt, hoffend, daß sie geladen ist. Dann ihr verzweifeltes Angebot: Wenn er alle andern aus dem Hause schickt, und zwar für immer, wird sie ihm zu Willen sein, sagt sie etwas verborgen, jeden Tag zu einer bestimmten Stunde. Damit gewinnt sie mindestens Zeit; im übrigen ist sie entschlossen zu schießen, sobald er sich vergreift. (Auf ihn oder auf sich?) Es
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