Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)
und die Engländer mit der gleichen Oerlikon-Kanone ab. Unser Waffenhandel, ganz abgesehen davon, daß er auch mit Entwicklungshilfe verbunden ist, bedeutet keinesfalls eine Einmischung in Nigeria oder Südafrika; es ist ein reines Geschäft im Sinn des freien Marktes. Hätte der Bundesrat, besorgt um die Glaubwürdigkeit der schweizerischen Neutralität, damals kein Waffen-Embargo verfügt, so hätte das reine Geschäft auch keiner Urkundenfälschungen bedurft. Das sagt der Verteidiger vor dem Bundesstrafgericht … Was das Volksbegehren betrifft, so muß man bedenken, daß Herr Dr. Dietrich Bührle sich nicht alles gefallen lassen wird: er könnte seinen Konzern jederzeit ins Ausland verlegen, so daß seineSteuern verloren gehen, seine Kunstsammlung auch. Ich verstehe, daß Herr Dr. Dietrich Bührle mit größtem Respekt behandelt wird; er durfte vor Gericht, im Gegensatz zu dem Schwindler v. Däniken, nicht fotografiert werden. Im Grunde hat man diesem Mann dankbar zu sein. Eine Verstaatlichung der Waffen-Industrie würde alles nur erschweren.
A.
Wieso?
B.
Dann wäre der Bundesrat verantwortlich, das Parlament. Herr Dr. Dietrich Bührle nimmt uns diese Verantwortung ab; als freier Unternehmer liefert er nach seinem Gewissen, unser Land ist am Profit beteiligt durch Steuern, aber nicht moralisch: wir sammeln für Biafra und schicken Krankenschwestern, die von Bührle-Munition getroffen werden. Caritas ist Caritas, Industrie ist Industrie –
A.
Soeben wurde das Urteil gesprochen.
B.
Es kann nur ein Urteil betreffend Urkundenfälschung sein. Es steht nichts anderes in Frage. Der Tatbestand erwerbsmäßiger Beihilfe zum Völkermord ist nicht verfassungswidrig. Daher sind die Herren des Bührle-Konzerns im Sinne unsrer Gesellschaft keine Verbrecher.
A.
Entgegen dem Antrag des Bundesanwaltes, der nur bedingte Strafen verlangt hat, müssen ins Gefängnis: Herr Dr. Lebedinsky, Herr Dr. Gelbert, übrigens Ritter der Ehrenlegion, sowie Herr Meili, wobei das Gericht auch die Strafzeit verlängert hat. Man kann also nicht sagen: Ein mildes Urteil. Einzig der Konzern-Herr muß nicht ins Gefängnis: 8 Monate bedingt, dazu ist die Buße auf 20 000 Franken herabgesetzt, da ihm Gewinnsucht nicht nachzuweisen ist.
B.
Ich verstehe sein pralles Lachen.
A.
Der Tatbestand erwerbsmäßiger Beihilfe zum Völkermord, wie du's als Laie nennst, steht nicht zur Diskussion.Daher kann dich das Urteil des Bundesgerichts nicht verwundern.
B.
Nein.
A.
Es verwundert dich auch nicht, daß das Bundesgericht, übrigens durch besondere Maßnahmen der Polizei geschützt, zwar den Tatbestand fortgesetzter Urkundenfälschungen verurteilt, aber in keinem einzigen Fall genau aufzuklären vermag, wie diese Urkundenfälschungen zustande gekommen sind, welche Mittelsleute sie ermöglicht haben und welche Bundesbeamten, die solche Urkunden prüfen, jahrelang nichts gemerkt haben?
B.
Nein.
A.
Das verwundert dich nicht?
B.
Unserem Volk, das an seinen Rechtsstaat glaubt, genügen drei oder vier Schuldige, im übrigen geht es um die Wahrung bewährter Beziehungen zwischen Wirtschaft und Behörden und Vaterland.
A.
Hältst du unser Volk für dumm?
B.
Ich halte mich für dumm, wenn ich das pralle Lachen des Konzern-Herrn auf dem Presse-Foto betrachte. Er hat recht. Die gerichtliche Geldbuße, die er auf freiem Fuß zu bezahlen hat, ist unter Spesen zu verrechnen, übrigens eine Lappalie im Vergleich zu den Schmiergeldern, die der Konzern schon bezahlt hat – Spesen für die Rechtsstaatlichkeit, die ihn schützt vor jeder Gewalt.
ZÜRICH
Kleine Demonstration, Besammlung beim Kunsthaus (da hat Bührle einmal eine Million gestiftet), Marsch durch die Bahnhofstraße zur Börse; dann und wann Zuschauer mit einem mitleidigen Lächeln, Kopfschütteln; eine Frausagt: Bravo! aber sie schließt sich nicht an; ein Mann sagt unentwegt: Ihr tut mir leid, Ihr tut mir leid! Die meisten, wenn sie die Transparente lesen, gehen sofort weiter; ein junger Mann sagt: Kommunisten, so geht doch nach Moskau! Etwa tausend Marschierer.
Ehrenwort
Sir, wo möchten Sie denn leben? Erstens bin ich kein Sir, zweitens sage ich: Nehmen Sie bitte diese Hand weg! Ich kenne den Mann nicht. Sir! sagt er, hält jetzt eine längere Rede, ohne die Hand von meinem Mantelkragen zu nehmen, in mehreren Sprachen durcheinander und nach einer Weile, da er mich hinreichend verwirrt hat, plötzlich in Mundart. Ein Landsmann also. Wo auf der Welt ich am liebsten leben möchte? Die Frage, so sagt
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