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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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Man versteht einander. Einer ist schwer betrunken, sagt etwas und geht nach einer Weile, was nicht verübelt wird; jeder weiß hier, wie schwer es ist. Ich sehe, daß er sich sogar noch einen Dollar pumpt. Nur wenigen ist anzusehen, daß sie Trinker sind. Im Nebenraum lärmen Kinder bei einem Ballspiel. Es gibt Gratis-Tee. Wer einmal die Gnade erfahren hat, daß er nicht mehr dem Alkohol verfallen ist, begleitet einen andern am Feierabend; ohne Herablassung, wenn er den Süchtigen abzuhalten versucht, denn er selber kennt den Alkohol und den Satan, der verspricht, daß es bei einem Gläschen bleibe, und die Ausrede, heute gebe es irgend etwas zu feiern. Der alte Neger, den ich um Traktate bitte, gibt vorerst die Hand und sagt: Bobby. Ich sage: Max.

Women's Liberation
    – und zum Schluß sagt er jedesmal, er sei ja dafür, durchaus dafür; nur müßten wir Frauen es selber machen. Dann zieht er die Decke über seine nackte Schulter, dieser Mann des neunzehnten Jahrhunderts. Ich könnte ihn umbringen, nur weil er weiß, daß ich's nicht kann. Wieso eigentlich nicht? Ein Mensch, der schnarcht, ist keiner. Jetzt hatten wir monatelang Frieden. Der Mythos vom vaginalen Orgasmus, das gibt er zu, um seine Ruhe zu haben. Wenn ich ihn umbringen wolle, sagt er, müsse ich vorher noch lernen, wie der Motor unsres Wagens funktioniert, und anderen Nonsense. Ich habe ja nicht gewußt, was ich geheiratet habe. Der weibliche Körper, sagt er, sei eben anders, was ich auch sage, aber anders als er. Ob ich Norman Mailer gelesen habe? Dann kämpft er nicht einmal, wenn man widerspricht, sondern sagt wieder, er sei durchaus dafür. Die Frau als Neger, das gibt er alles zu, aber was tut er dagegen? Diese June, die ihm den Hof macht, hat gerade noch gefehlt, diese June mit ihren Wurstbeinen, die nicht einmal merkt, daß dieser Mann sie nicht ernst nimmt. Wieso ich ihn überhaupt ernstnehme? Das fragt er, bevor er einschläft. Ich frage mich auch. Ich lese Norman Mailer nicht. Sie lernen es nie. Auch Lysistrata ist von einem Mann erfunden, dieser antike Herrenwitz, daß der geschlechtliche Streik der Frauen immer scheitern wird, weil es Weiber wie diese June gibt, Streikbrecherinnen aus unterbelichtetem Bewußtsein. Das Fortschrittlichste, was er zu denken vermag: daß die bisherige Emanzipation der Frau sich als Bumerang erwiesen habe, indem sie die Frau nicht befreit, im Gegenteil sie gerade in die Kategorien männlichen Denkens einordnet. Das sagen wir ja. Wenn er sich überhaupt zum Ernst bequemt, gibt er zu, daß es so nicht weitergeht. Einiges hat es sich immerhin schon abgewöhnt; er sagte: Deine Kinder. Dann beruft er sich beiläufigauf Margret Mead: Die menschliche Vaterschaft als eine gesellschaft-konstituierende Erfindung (ob ich höre) Erfindung, keine Naturgegebenheit wie beispielsweise die Menstruation (ob ich höre?), gesellschaft-konstituierende und somit repressiv. Ich finde ja nicht, daß das lange Haar ihm besonders steht; vielleicht weil ich ihn kenne. Joe ist kein Löwe. Sie tun nur so progressiv, diese Künstler, und dann verrät er sich doch: Frauen seien nicht kreativ. Helen hat's ihm gesagt, besser als ich es kann; sie regt sich nicht auf, wenn er widerspricht. Mir widerspricht er schon nicht mehr, sondern ist lieb; übrigens auch nicht immer, nur wenn er das Bedürfnis hat oder meint, ich habe das Bedürfnis. Immerhin gibt er zu, daß er keine Frau sein möchte. Ich bin aber eine. Oder wenn eine Frau, so sagt er, dann schon lesbisch. Das bin ich aber nicht. Wenn er sich in mich versetzt, kommt es zum Vorschein: ich sei eben faul (gemessen an ihm), weil er's für Arbeit hält, wenn er bastelt an seinem Plexiglas; ich sei emotional, weil er sich für rational hält, sobald er nicht einverstanden ist. Immer dasselbe. Ich sei mütterlich und identifiziere mich mit den Kindern, wenn er sie aus dem Atelier wirft; ich sei nicht dumm (immer gemessen an ihm), um so dümmer findet er es von mir, daß ich etwas nicht einsehe, was ihm recht gibt. Ich könnte ihn umbringen. Es gibt eine einzige Frau, der er sich unterwirft: LA MAMMA in Bologna. Daß junge Frauen, nicht nur June, die er selber nicht ernstnimmt, auf ihn hereinfallen, macht mich nicht eifersüchtig, es verhindert bei ihm nur jeden Lernprozeß. Ich sei possessiv; dabei verlange ich gar nicht, daß er sich in mich versetzt; dann sagt er, ich habe Qualitäten (gemessen an ihm), beispielsweise findet er's eine Qualität, daß ich animalisch sei usw. und irisch. So

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