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Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition)

Titel: Tagebuch 1966-1971 (suhrkamp taschenbuch) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Frisch
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    Seine verheiratete Schwester aus Schottland hat er am Flughafen nicht erkannt und kehrt unverrichteter Dinge zurück; sie sitzt in seiner Wohnung, als habe sie immer da gesessen, nur eben älter. Dann aber geht es ordentlich, sogar herzlich, ohne Riß.
     
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    STATIK FÜR ARCHITEKTEN , ein Handbuch, das seinen jahrzehntelangen Unterricht zusammenfaßt, wird kurz nach Erscheinen in drei Sprachen übersetzt, darunter Japanisch.
     
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    Eigentlich geht überhaupt alles in Ordnung –
     
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    Seine Frau findet es verrückt, als er ihr eröffnet, er habe seinen Prozeß damals zu Recht verloren … Das ist lang her, ein Fall, worüber jedermann nur den Kopf schütteln kann. Ein Skandal. Er hatte gegen eine Firma geklagt; man hatte eine statische Expertise, die er, damals noch nicht Professor, auf Bestellung geliefert hatte, zwar zum Teil honoriert, aber bei der Ausführung (Industrie-Bau mit großen Hallen) aus Spargründen nicht beachtet. Er klagte aus Verantwortungsbewußtsein. Die Firma hatte aber, wie sich herausstellte, Steuersitz im Fürstentum Liechtenstein, Gerichtsort war Vaduz. Er mußte einen zweiten Anwalt nehmen, einen aus Liechtenstein, der, wie sich vorerst nicht herausstellte, die Firma in Steuerangelegenheiten beriet. Das alles hatte er nicht gewußt. Als dann die Hallen bereits standen und ein sogenannter Vergleich vorgeschlagen wurde, Auszahlung des restlichen Honorars bei Rückzug der Klage, war nicht nur sein Honorar bereits für Justiz-Spesen verbraucht, sondern auch seine Karriere zu bedenken; die Firma nämlich, um den Vergleich zu erzwingen, hatte sich inzwischen andere Expertisen verschafft, während er seine Habilitation einreichte. Der SCHWEIZERISCHE INGENIEUR- UND ARCHITEKTEN VEREIN , der für solche Fälle ein Schiedsgericht hat, warnte ihn, auch noch Klage zu erheben gegen Kollegen wegen ihrer Expertisen, zumal diese Kollegen bei der Wahl eines Professors zwar keine direkte Stimme haben, aber natürlich einen kollegialen Einfluß. War es nun (nach seinen Begriffen damals) feige, daß er gewisse Kollegen schonte, um seine Professur nicht zu gefährden, so lehnte er um so entschiedener jeden Vergleich mit der Firma ab, koste es, was es wolle, nämlich jenen Teil der Erbschaft,den er seiner Schwester schuldig bliebe … Jetzt kommt er beim Frühstück plötzlich mit der Erkenntnis, daß er den Prozeß damals zu Recht verloren habe. Tatsächlich stehen die fraglichen Hallen noch heute. Das aber ist nicht seine Begründung. Er hat keine.
     
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    Dann wieder Wochen ohne Schub –
     
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    Die Lichtbilder für den Unterricht ordnet er jedesmal eigenhändig in die Kassette, hält jedes einzelne vorher gegen das Fensterlicht, als könnte sich eines einschleichen, das ihn zum Gespött macht. Es wurde schon einmal gelacht; es war dunkel im Auditorium, und so konnte er für das Gelächter keinen Grund sehen. Das Lichtbild (Einsturz eines Hangars mit Dreigelenkbogen, ein Beispiel dafür, was ein nicht kalkulierter Wind vermag) hat er für immer aus der Kassette genommen.
     
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    Seine Schwester ist durch Heirat vermögend; als er die Geschichte mit der Erbschaft erwähnt, legt sie lediglich Wert darauf, daß ihr Mann, ein Bankier, nie davon erfährt. Im übrigen meidet er alle Erinnerungen familiärer Art. Zum Glück ist das Grab der Mutter noch nicht aufgehoben. Übrigens bleibt sie, die Schwester aus Schottland, nur zwei Tage (im Hotel) und begreift in dieser kurzen Zeit nicht genau, warum der Bruder ihr leidtut – er hat eine Professur, eine sehr liebe Frau, einen Sohn, der gerade Leutnant wird, eine staatliche Pension usw.
     
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    Dann kommt dieser Kongreß in Brüssel, das er von früher kennt. Als das Hotel, das er ebenfalls kennt, schon bestellt ist, das Ticket usw., gesteht er plötzlich: er sei nie in Brüssel gewesen – seine Frau hat Briefe von ihm aus Brüssel, sogar Fotos, die sie ihm zeigen kann; er glaubt es sich trotzdem nicht.
     
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    Es ist jetzt nur noch die Frage, wann sie es merken, daß er nichts von Statik versteht, eine Frage der Zeit. In 9 Jahren wird er pensioniert. Sein Sohn scheint es schon zu wissen.
     
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    Wie er im Kommissariat auf der gelben Bank sitzt mit dem Hut in der Hand, weiß er nicht, was in der Nacht sein Gedächtnis freigegeben hat – er nimmt an, daß sie es wissen, hofft es fast.
     
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    Dann wieder kommt es vor, daß er denselben Hut auf den Kopf setzt. Ohne Zögern. Wenn

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