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Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Tagebuch aus der Hölle (German Edition)

Titel: Tagebuch aus der Hölle (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffrey Thomas
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den wogenden Himmel über der Stadt. Ich folgte seinem Blick nach oben. Das Szenario, das ich mir ausmalte, war nicht besonders angenehm.
    Ich trennte mich so schnell wie möglich wieder von Jesus. Eine indische Frau im mittleren Alter, die einen selbst gemachten Sari trug, war meine nächste vorübergehende Begleiterin. Sie fragte mich, weshalb ich nach Oblivion wollte.
    Ich zuckte die Achseln: »Ich schätze, ich brauchte einfach irgendeinen Ort, zu dem ich gehen konnte. Er ist so gut wie jeder andere. Und man hat mir gesagt, in der Stadt sei es sicherer als draußen in der Wildnis.«
    »Nicht unbedingt«, erwiderte sie. »Aber wenn du für die Dämonen arbeitest, sind sie manchmal nachsichtiger.«
    »Treibst du in Oblivion Handel?« Sie trug ein Bündel bei sich, das vermutlich ihre bescheidene Habe enthielt.
    »Nein, ich möchte mich für eine Weile dort niederlassen. Ich komme aus einer anderen Stadt. Die Dämonen sind in Scharen dort eingefallen, haben die Einwohner zusammengetrieben und die Menschen aus ihren Häusern gezerrt. Sogar die Arbeiter in den Folterfabriken.«
    »Warum?«
    »Aus keinem für uns begreiflichen Grund. Aber ich schätze, damit die Einwohner sich nicht zu selbstzufrieden fühlen. Zu geschützt. Viele von uns sind geflohen. Das Letzte, was ich aus der Ferne gesehen habe, war, dass meine Stadt in Flammen stand.«
    »Es ist das Unbegreifliche, das mir am meisten Angst macht«, gestand ich. »Noch mehr als die Schmerzen, schätze ich.«
    Nach einer Weile fragte ich: »Hattest du eine Familie und Freunde in der Stadt?«
    »Freunde. Freunde aus der Hölle, keine Freunde aus meinen Lebzeiten … und ich habe hier noch nie jemanden aus meiner Familie getroffen. Meine Freunde wurden in dem Chaos in alle Winde zerstreut. Ich hoffe, dass ein paar von ihnen den Weg nach Oblivion finden.«
    Ich nickte. »Hast du schon mal einen Prominenten oder eine berühmte Person in der Hölle gesehen? Vielleicht Ted Bundy … oder Lee Harvey Oswald?«
    Die kleine Inderin sah mich verständnislos mit einem Stirnrunzeln an. »Ich bin 1927 gestorben«, erklärte sie.
    »Oh, tut mir leid. Die Menschen kommen einem hier alle wie Zeitgenossen vor. Na ja … wie auch immer … damals, an der Avernus-Universität, hab ich mal gedacht, ich hätte Danny Kaye auf dem Korridor gesehen. Das war ein Filmschauspieler, ein Komiker. Ich habe seine Filme als Kind geliebt. Aber unser Ausbilder hat uns weiter über den Flur gehetzt, und da hab ich mich nicht getraut, ihn zu fragen. Ich weiß noch, dass ich dachte, wenn Danny Kaye in der Hölle ist, dann besteht für die Menschheit keine Hoffnung mehr. Er ist die einzige Berühmtheit, die ich vielleicht gesehen habe. Kein Jimmy Hoffa, kein Hitler …«
    » Den Namen hab ich schon mal gehört«, sagte die Frau.
    »Du bist schon so lange hier – glaubst du, dass es möglich ist, von hier zu fliehen?«
    »Fliehen? Aus der Hölle? Oh nein … nein, nein …«
    »Aber, ich meine, denk doch nur mal an die Visionen, die Höllen-Autoren wie Dante und Swedenborg oder die Propheten uns geschenkt haben. An die Hölle, die in der Bibel erwähnt wird … die höllenähnlichen Orte in all diesen verschiedenen Religionen und Kulturen. Wie sollten sie denn einen Einblick davon gewonnen haben, wenn sie nicht selbst kurz hier gewesen sind, aber danach wieder zurückkehren konnten?«
    »Möglicherweise ist ein Teil von ihnen hier gewesen, als Projektion, aber es ist wahrscheinlicher, dass sich nur ein Fenster für sie geöffnet hat, durch das sie hindurchblicken konnten. Oder vielleicht haben sie die Hölle auch nur instinktiv gespürt. Aber wie dem auch sei: Niemand, der je gestorben ist und in die Hölle verdammt wurde, konnte ihr je wieder entkommen.«
    »Orpheus ist in die Hölle gegangen und wieder zurückgekehrt.«
    »Nur ein Mythos.«
    »Ich hab früher auch immer behauptet, die Hölle sei nur ein Mythos.«
    Einige Menschen waren nicht auf dem Weg nach Oblivion, sondern kamen gerade aus der Stadt. Der Verkehr wurde immer dichter, je näher ich der vor mir aufragenden Stadt kam … und nun wirkte sie wahrhaftig bedrohlich. Sie türmte sich wie die Skyline einer irdischen Großstadt über mir auf, und die höchsten Türme schienen beinahe an den Magma-Himmel heranzureichen, der sich nun direkt über meinem Kopf befand. Als ich zum Himmel und an den ebenholzfarbenen Wolkenkratzern hinaufsah, wurde mir schwindelig. Metall und Glas reflektierten das orangefarbene Licht und verbreiteten überall ein

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