Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
auch im Leben bereits geisteskrank gewesen und hierher ins Exil geschickt worden, weil ihr Verstand nie gesund genug gewesen war, um die Idee des Sohnes anzunehmen.
Nach und nach tröpfelten immer mehr Menschen auf die Hauptstraße, bis die Szene beinahe einem Exodus glich, einer Pilgerreise nach Oblivion. Es ließ sich nicht vermeiden, dass ein paar meiner Mitreisenden für ein Stück des Weges neben mir gingen, sodass wir uns kurz unterhalten konnten. Einer von ihnen war ein etwa zwölfjähriger Junge mit britischem Akzent, der sich einen Weidenkorb auf den Rücken geschnallt hatte. Der Korb war mit kleinen Albino-Kürbissen gefüllt, die er, wie er sagte, in der Stadt gegen ein Paar neue Schuhe tauschen wollte. Er kam aus einer kleinen Stadt namens Limbus, die sich irgendwo im Wald befand. Während unserer Unterhaltung erfuhr ich, dass er sich bereits seit dem 19. Jahrhundert in der Hölle befand. Er hatte etwas Fatalistisches an sich und verfügte über einen leicht zynischen Humor. Ich glaube, er war der weltgewandteste Mensch, den ich je getroffen habe.
Hin und wieder überholten mich verschiedene weitere Kutschen, aber keine von ihnen wurde von einem Wesen gelenkt, das dieser Kürbislaternen-Kreatur ähnelte. Einmal war es ein mit Baumstämmen beladener Wagen, der von zwei schwerfälligen Tieren gezogen wurde, die wie stämmige, zottelige Yaks mit sechs geschwungenen Ziegenhörnern aussahen. Noch so ein Tier, das für diverse Zwecke gedacht war – genau wie die, die den amerikanischen Ureinwohnern, Neandertalern usw. für die Jagd zur Verfügung standen. Ich fragte meinen jugendlichen Begleiter, ob Katzen, Hunde und andere irdische Tiere in den Himmel kamen. Oder in die Hölle.
»Weder noch«, antwortete er. »Sie haben keine Seele.«
»Ich hatte in meinem Leben schon Hunde und Katzen, die mir definitiv so vorkamen, als hätten sie eine Seele. Sogar mehr Seele als viele Menschen, die ich kannte.«
Der Junge zuckte nur mit den Schultern. Es machte keinen Unterschied, ob er mir zustimmte oder nicht, und gegen seine Enthüllung zu protestieren war genauso sinnlos … selbst wenn sich meine eigene Seele noch so stark gegen diese Tatsache wehrte. Gegen diese himmlischen Urteile, diese kosmischen Pläne.
Nun, die Tiere haben eben Glück, oder nicht? Einfach sterben zu können, nicht mehr zu existieren. Danach habe ich mich an jenem Tag gesehnt, der nun viele Äonen zurückzuliegen scheint, als ich mein Gewehr zur Hand nahm …
Ich beneide auch die Dämonen. Für sie ist dieselbe Erlösung möglich. Für den Schöpfer müssen sie so etwas wie Tiere sein. Vielleicht betrachtet Er Seine Legionen der Teufel ja sogar als Unschuldige. Nur dazu getrieben, Menschen zu foltern – wie ein Pferd dazu getrieben wird, eine Kutsche zu ziehen.
Ein weiterer Mitreisender, der sich meinen Schritten anpasste, stellte sich mir als Jesus (»Che-sus«) vor – ich rechnete fest damit, dass ihn nach dieser Information ein Blitzschlag treffen würde. Er war ziemlich gesprächig und fröhlich, aber das auf seiner Stirn eingebrannte ›V‹, das für »Vergewaltiger« stand, erinnerte mich daran, dass es ein paar Leute in der Hölle gibt, die tatsächlich auch hier hingehören. Er erwähnte mit keinem Wort den Pfeil, der aus meinem Rücken ragte, so als sei so etwas die natürlichste Sache der Unterwelt. Als er erfuhr, dass ich in Sachen ewige Verdammnis im Allgemeinen und Oblivion im Besonderen noch ein ziemlicher Neuling war, verwandelte er sich in einen wahren Quell der Informationen.
»Wenn du Arbeit suchst, versuch es am besten in einer der Folterfabriken«, riet er mir. »Sie bezahlen dich dafür …«
»Dann machen Dämonen diese Arbeit gar nicht?«
»Einen Teil davon schon, aber die meiste Zeit beaufsichtigen sie nur die Menschen. Es gefällt ihnen, die Menschen dazu zu bringen, sich gegenseitig diese Scheiße anzutun … Ich schätze, sie finden das lustig.«
»Sie wollen sehen, wie weit wir uns erniedrigen lassen.«
»Aber hey, wie schon gesagt, sie bezahlen dich dafür. Dann kannst du dir eine bessere Unterkunft suchen. Vielleicht sogar deine eigene kleine Wohnung.«
»Ich könnte das nie einem anderen Menschen antun.«
»Na ja, wenn du nicht dort oder woanders arbeitest, dann musst du auf der Straße leben. Vielleicht in einer Gasse schlafen, in irgendeiner kleinen Ecke oder in einem einsamen Winkel, wenn du einen findest. Aber ich möchte nicht gerne draußen sein, wenn es regnet.« Er streckte seinen Kiefer in
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