Tagebuch aus der Hölle (German Edition)
jedoch eine dünne Gedichtsammlung eines weiteren unbekannten Autors gekauft.
Nicht zum ersten Mal fragte ich mich, ob dieser Verlag – Necropolitan Press – möglicherweise Interesse daran hätte, mein Tagebuch zu veröffentlichen. Ich habe mir oft vorgestellt, wie ich es durch einen Spalt in der Mauer der Hölle schiebe oder es durch irgendein Portal in die Welt der Lebenden schmuggle. Haben vielleicht auch ein paar der infernalischen Bücher unserer Welt auf diese Weise ihren Weg in die Hände von Satanisten gefunden? Und werden diese Satanisten meine Warnungen ernst nehmen und sich bessern, um meinem Schicksal zu entgehen?
Es erscheint mir jedoch nicht sehr wahrscheinlich, dass dies tatsächlich möglich ist. Es heißt, der Geist könne sich nicht wieder in Materie verwandeln. Wenn dem so wäre, könnte ich auch ebenso gut versuchen, mich selbst durch einen solchen Spalt zu quetschen. Ich habe gehört, dass nur Dämonen und Himmelsboten zu diesem Kunststück fähig sind, da sie ohnehin nie sterbliches Fleisch besessen haben … auch wenn es ihnen grundsätzlich verboten ist, es zu tun, und ich mir sicher bin, dass es ihnen nur zu den seltensten Gelegenheiten gestattet wird. Und Gerüchten zufolge sind sie in diesen seltenen Fällen für sterbliche Augen dann sowieso fast vollkommen unsichtbar.
Aber da ich nun einmal Schriftsteller bin, sehne ich mich nach Lesern. Es wäre die reinste Ironie, wenn ich in der Hölle erfolgreicher damit wäre, sie zu finden, als ich es zu Lebzeiten war. Das würde aus meiner Sicht selbst der Hölle einen positiven Aspekt verleihen, und diese Vorstellung gefällt mir: der Gedanke, meine Bestrafung in etwas zu verwandeln, das zu meinem Vorteil ist, wenn auch nur auf sehr bescheidene Weise. Ja … ich sollte die Besitzer dieses Buchladens, dieses Verlages in nicht allzu ferner Zukunft darauf ansprechen. Bevor mein Tagebuch zu dick für das Format wird, das sie drucken. Ich könnte schließlich jederzeit einen zweiten und dritten Band usw. schreiben. Eine fortlaufende Reihe, wenn die Leserschaft danach verlangt. Vielleicht werden sich einige dadurch, dass sie von meinen Erfahrungen in der Hölle lesen, weniger allein in ihrem Leiden und ihren Mitmenschen wieder verbundener fühlen. Schließlich strebt die Kunst genau danach: nachzufühlen, zu verbinden. Ich werde mich aber nicht auf diese Memoiren beschränken. Ich werde auch über die Welt schreiben, die wir zurückgelassen haben. Ich werde auch Eskapistisches verfassen, denn die Kunst dient auch diesem weniger erhabenen, aber nicht minder wertvollen Zweck. Meine eigenen Gedicht- und Kurzgeschichtensammlungen. Ja … das ist etwas, worauf ich mich freuen kann – aber ich werde nicht sagen: etwas, wofür es sich zu leben lohnt.
Zwischen einigen dieser schwarzen Ziegelreihenhäuser, die an den Kolonialstil erinnerten und von denen ich annahm, dass sie zu den ältesten Gebäuden in Oblivion gehörten, befanden sich vereinzelte schmale Gassen. Als ich an einer dieser Gassen vorbeiging, deren Eingang mit einem schwarzen Eisengitter versperrt war, drang eine Stimme aus ihrem schattigen Schlund zu mir heraus: »Hier drinnen … schnell.«
Ich blieb stehen, blickte in die Gasse und erkannte an ihrem Ende eine weiße Erscheinung. Ich trat einen Schritt nach vorne. Es war Chara.
Ich schaute zurück auf die Straße, um sicherzugehen, dass niemand nahe genug war, um mich zu erkennen, und stieß dann die Gittertür auf. Ihre rostigen Scharniere quietschten, als sie aufschwang. Ich huschte in die Gasse, schloss das Tor hinter mir und ging auf Chara zu.
»Ich wohne nicht mehr in meiner Kaserne, ich habe jetzt ein Zimmer. Ich nehme dich mit dorthin, wenn du willst«, flüsterte sie. Sie wirkte ernst, angespannt. Kein Lächeln zur Begrüßung – aber warum auch? Andererseits, wieso sollte sie überhaupt hier sein? Sie hatte offensichtlich meinen neuen Nachhauseweg von der Arbeit ausgekundschaftet.
»Ja«, entgegnete ich. Dann fragte ich sie: »Wirst du von den anderen deiner Art gejagt?«
»Von einigen schon. Nicht von allen.«
»Ein Ermittler hat mich bei der Arbeit aufgesucht und mich ausgefragt. Er war ein Engel. Er …«
Sie sah nun noch ernster aus und sagte: »Warte, bis wir bei mir sind. Dann kannst du mir alles erzählen.«
Ich nickte und folgte ihr zum anderen Ende der Gasse. Sie mündete in eine größere Gasse, in der haufenweise kaputte Möbel, halb zerstörte, nicht zu identifizierende Maschinenteile lagen und Mülltonnen
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