Tagebuch der Apokalypse 3: Roman (German Edition)
entzündeten Augen, starr stierend, hungrig.
Außenposten Vier erlebte den Untergang der Zivilisation über zahllose Kurzwellensendungen. So hoch im Norden war die Kurzwelle die einzige halbwegs zuverlässige Möglichkeit der Verständigung. Die Satellitentelefone hatten zwar in den ersten Monaten nach der Anomalie funktioniert, versagten aber, als die Satellitenkreisbahnen zusammen mit dem Rest der Technik verfielen, die von einer komplexen und zerbrechlichen Infrastruktur abhängig war.
Der brutale und gnadenlose arktische Winter bot nur einen Vorteil – man begegnete weitaus weniger gefräßigen Biestern als in gemäßigteren Klimazonen. Anfangs waren ihnen Untote lediglich wie ein weit entferntes Problem erschienen – sie waren etwas, von dem man über Kurzwelle hörte oder mit erschreckter Miene im Satellitenfernsehen sah. Hier, in der guten alten Außenstation Vier, gab es noch keinen Grund, sich Sorgen zu machen.
Im Frühjahr nach dem Beginn der Anomalie war ein Forscher an diabetischen Komplikationen gestorben. Die schrumpfende Mannschaft hatte schnell begriffen, dass die Anomalie auch bei ihnen angekommen war. Nun attackierte sie ihre sichere klimagesteuerte Zuflucht. Ein schneller Axthieb auf den Schädel war nötig gewesen, um die Kreatur für immer auszuschalten. Doch zuvor hatte sie schon ein zweites Opfer gefordert. Man hatte die Leichen in einen fünfundsiebzig Meter tiefen Spalt in der Nähe der Außenstation geworfen. Dorthin beförderte man ab da alle abgefertigten Toten. Viele zerschmetterte und gefrorene Leichen lagen am Boden dessen, was die Überlebenden »Schlucht des Reinen Gewissens« nannten.
Weiter südlich, in der wirklichen Welt, kämpften und starben die Menschen gegen die Überlebenslotterie. Nördlich des Polarkreises stellten sich die Überlebenden niedrigen Körpertemperatur und ständiger Finsternis. Sie hatten den goldenen Glanz der Sonne seit Wochen nicht gesehen. Manche fürchteten insgeheim, dass sie ihn nie mehr sehen würden. Heiz- und Dieselöl wurden rationiert, als handelte es sich bei beidem um den Trinkwasservorrat eines auf dem Pazifik verirrten Rettungsbootes. Jeder wusste, dass er so gut wie tot war, wenn er diesen Eisbrocken nicht innerhalb der nächsten sechzig Tage verließ. Im Januar – also im tiefsten Winter. Kein Flugzeug (wenn noch welche übrig geblieben wären) hätte einen Flug in diese Gegend riskiert, und kein Mensch konnte den Weg nach Süden zu Fuß bewältigen. Man hatte zwar Schlitten und Hunde, aber auch das würde nicht ausreichen. Sie waren zu weit im Norden.
Crusow Ramsay war der inoffizielle Leiter der Außenstation Vier und der Anführer der wenigen hier verbliebenen Menschen. Er war zwar nicht der älteste oder rangmäßig höchste Mannschaftsangehörige, aber er wurde am meisten respektiert. Crusows Name klang alt, noch älter als die Namen von Kindern in den 1950er-Jahren, die Dick oder Florence hießen. Er hatte ihn von seinem Großvater. Vor fünfunddreißig Jahren hatte sein Vater den Namen ohne besondere Erwägungen an ihn weitergegeben. Crusow stammte von einer langen Reihe starker schottischer Einwanderer ab – Alphamännern, die sich immer gut durchs Leben geschlagen hatten.
Da sein Vater Zuneigung nur sehr selten zur Schau gestellt hatte, war Crusow ein zäher Bursche. Und härter als viele andere Männer. Sein Vater hatte etwa Mädchen gegenüber stets Nachsicht walten lassen. Crusow tat so etwas nicht. Im Alter von siebzehn Jahren war er ins Sägewerk gegangen.
Da er Geld brauchte, um seine schwangere Frau zu ernähren, hatte er sich um einen Job beworben, der ihn irgendwann dorthin gebracht hatte, wo er nun war – in der kalten Umarmung der Arktis. In der damaligen finsteren wirtschaftlichen Phase seines Lebens hatte er keine große Wahl gehabt. Man hatte ihm zu verstehen gegeben, dass er, wenn er den Job bekam, pro Jahr fünf Monate von zu Hause fort sein würde. Die kryptischen Minimalanforderungen, die man an seine Kompetenz stellte, faszinierten ihn.
Maschinenbauer mit drei Jahren Berufserfahrung / Kenntnisse im Umgang mit Dieselmotoren. Ungebundenheit und Unbescholtenheit werden vorausgesetzt …
Außenstation Vier barg Geheimnisse. Die meisten Forschungsarbeiten, die arktische Basislager erforderlich machen, waren schon vor Jahrzehnten erledigt worden. Offiziell wurde die Außenstation gegründet, um in den nördlichen Gebieten elektromagnetische Wellenübertragung zu studieren. Crusow gehörte nicht zur
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