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Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)

Titel: Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim El-Gawhary
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der ältere Mann mit einem Gebetsfleck auf der Stirn und seiner konservativen Kleidung, der der fröhlich kehrenden jungen Frau mit offenem Haar und unbedeckten Armen den Müllsack aufhält. Noch vor ein paar Wochen hätte er die Frau mit ihrer in seinen Augen verwerflichen Kleidung wahrscheinlich nicht einmal angesehen. Jetzt unterhalten sie sich angeregt und lachen miteinander.
    Hosni Mubarak ist weit weg. „Von der Veränderung zum Aufbau“, titelt die unabhängige Tageszeitung Al-Masry al-Youm und zeigt das gleiche Bild vom Säubern der Stadt, das auch die staatliche Tageszeitung Al-Ahram auf ihrer Titelseite hat. Eine neue mediale Einheit, bei der man sich fragt, wohin denn die Hofberichterstatter Mubaraks verschwunden sind. Oder schreiben sie nach dessen Abgang nun ihre einstudierten Lobeshymnen auf die ägyptische Revolution und ihre Jugend?
    Aber vielleicht kann man hier auch auf die Selbstreinigungskräfte der staatlichen Institutionen vertrauen. Dort saßen auch qualifizierte Menschen, oft verdrängt in die hinteren Reihen von den opportunistischen Jasagern. Der ägyptische Beamtenapparat ist groß, und unter den Schreibern des Pharaos gab es schon immer kritische Naturen, die die opportunistischen Vordrängler jetzt schnell an ihre unrühmliche Vergangenheit erinnern werden.
    Und die Armee? Die taucht im Leben der Ägypter derzeit in zwei Varianten auf. In Form des Militärsprechers im Fernsehen, der die neuesten Militärkommuniqués verkündet. Am Sonntag erklärte der Militärrat die Auflösung des Parlaments, setzte die Verfassung außer Kraft und erfüllte damit zwei weitere Forderungen der Protestbewegung. Das Militär werde das Land für sechs Monate führen, sollten nicht vorher Präsidentschafts- und Parlamentswahlen abgehalten werden, hieß es in der Mitteilung weiter. Zuvor dürfte sich Israel erleichtert gefühlt haben, als ein Militärsprecher zusicherte, dass Ägypten sich an alle geschlossenen Verträge halten werde, also auch an den Friedensvertrag mit dem Nachbarland.
    taz.de, 16.2.2011
    Das neue Tahrir-Bewusstsein

    Ein ägyptischer Militärrat, der eine Order nach der anderen veröffentlicht und die Weichen stellt, ohne gleichzeitig ein politischer Ansprechpartner zu sein. Eine alte Opposition, die jahrzehntelang nur in einer vom Regime zugewiesenen Nische ihr Dasein gefristet hat. Eine neue Jugendbewegung, die zwar weiß, wie man mit Facebook und Twitter Menschen mobilisiert, die aber kaum politisch organisiert ist.
    Präsident Hosni Mubarak ist weg. Was an seine Stelle tritt, ist noch völlig ungewiss. Da ist zunächst die Frage, wie sich das Militär verhalten und ob es die Macht tatsächlich wieder abgeben wird. Die Tatsache, dass Mohammed Hussein Tantawi dem Militärrat vorsteht, ist ein Zeichen dafür, dass dieser sich nicht auf lange Zeit eingerichtet hat.
    Tantawi, Verteidigungsminister unter Mubarak, ist ein Vertreter des alten Regimes. Der Mann hat Krebs, ist alt und hat keine politischen Ambitionen mehr. Der wirklich starke Mann, der in den USA ausgebildete Stabschef Sami Anan, hält sich im Hintergrund. An der Personalpolitik des Militärrates lässt sich dessen inhaltliche Ausrichtung kaum ablesen.
    Die ersten Schritte des Militärs waren durchaus im Sinne der Demonstranten. Das mit massivem Wahlbetrug unter Mubarak gewählte Parlament wurde aufgelöst. Die für Mubarak und die Amtsübergabe an seinen Sohn maßgeschneiderte Verfassung wurde ausgesetzt. Neue Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sollen in spätestens sechs Monaten stattfinden. Und auch die Tage der kurz vor Mubaraks Rücktritt ernannten Regierung sind wahrscheinlich gezählt.
    So weit, so gut. Ein Blick auf einige Details jedoch, und schon kommt wieder Ungewissheit, vielleicht sogar Unruhe auf. Da gibt es diese beklemmenden Meldungen, dass das Militär in den vergangenen Wochen Hunderte von Menschen festgenommen hat. Wie viele es sind, weiß niemand genau. Dann ist da die Zusammensetzung des vom Militär ernannten Komitees, das die Verfassung umschreiben soll. Ihm steht mit Tariq Al-Bishri ein islamistischer Intellektueller vor, ein anderes Mitglied hat enge Verbindungen zur Muslimbruderschaft. Die meisten anderen Richter im Verfassungsausschuss sind unbekannte Größen. Aber der Einfluss des Gremiums ist begrenzt. Es darf nur sechs Artikel überarbeiten. Bei fünf davon geht es darum, freie Wahlen zu gewährleisten. Einer sechster wird umgeschrieben, weil damit im Namen des Antiterrorkampfes praktisch

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