Tagebuch der arabischen Revolution (German Edition)
alle in der Verfassung gewährten bürgerlichen Rechte ausgesetzt wurden.
Ein begrenztes Mandat also, bei dem der Ausschuss nicht viel falsch machen kann. Bereits nächste Woche will er die Ergebnisse präsentieren. Sechs Monate können sich die Ägypter nun auf Wahlen vorbereiten. Das ist eine lange und eine viel zu kurze Zeit. Lang, weil die Ägypter sichergehen wollen, dass das Militär die Macht auch wieder abgibt. Kurz, weil es der Opposition und vor allem der Jugendbewegung sehr wenig Zeit gibt, sich zu organisieren.
Es ist also ein durchwachsenes Bild, das Ägypten wenige Tage nach dem Sturz Mubaraks abgibt. Es ist eine Zeit, in der man Ägypten genau beobachten, sich aber vor allzu vorschnellen Urteilen hüten sollte. Ein Blick auf das heutige Tunesien könnte auch Hinweise für die Entwicklung Ägyptens liefern. Die Tunesier kämpfen noch einen Monat nach dem Sturz Ben Alis um die künftige Ausrichtung ihres Landes.
Es ist ein Konflikt zwischen jenen, die möglichst viel vom alten System in die neue Zeit hinüberretten, und jenen, die den vollständigen Bruch wollen. Allein dass dieser Kampf bis heute in Tunesien ausgetragen wird, zeugt vom neuen politischen arabischen Selbstbewusstsein.
Wie geht es weiter?
Auch die Demonstrationen in Libyen und dem Golfstaat Bahrain zeigen, dass die Tunesier die Tür geöffnet, die Ägypter sie dann weit aufgestoßen haben und sich nun die anderen Araber durchdrängeln wollen. Die Widersprüche in den arabischen Gesellschaften sind jedoch nicht die gleichen.
In Bahrain geht es einer schiitischen Mehrheit darum, nicht mehr als Bürger zweiter Klasse behandelt zu werden. In Libyen geht es darum, dass den Menschen unter Revolutionsführer Gaddafi selbst die kleinsten politischen Freiheiten verweigert wurden. In Ägypten geht es schon jetzt nicht nur um die politischen Freiheiten, sondern auch um die sozialen und wirtschaftlichen Rechte der Menschen.
Am Ende wird es nur einen Garanten dafür geben, dass es vorangeht: das neue Tahrir-Bewusstsein der Araber, die ihre Angst abgestreift und gelernt haben, erfolgreich für ihre Rechte auf die Straße zu gehen.
taz.de, 18.2.2011
„Besucht Ägypten!“
Hunderttausende feiern in Kairo die Revolution, gedenken der Toten und fordern das Militär zu Reformen auf. Die Stimmung ist entspannt und freudig.
Kairo. „Du musst dir mal deine Haare schneiden lassen“, meint ein Offizier am Eingang zum Tahrir-Platz zu einem Jugendlichen im Afrolook. Der sieht ihn verblüfft an, bevor der Offizier in Lachen ausbricht und noch ein blumig arabisches „Der Platz ist von dir erleuchtet“ hinzufügt. Die Atmosphäre zwischen Demonstranten und Soldaten ist entspannt.
Drinnen herrscht Volksfeststimmung in den ägyptischen Nationalfarben Rot-Weiß-Schwarz, die als Stirnbänder, Flaggen, Mützen feilgeboten werden. Manche tragen auch einfach nur Kleidungsstücke in passenden patriotisch-revolutionären Farben.
Beim Freitagsgebet wird es eng auf dem Platz. Mehrere Hunderttausende knien nach einer revolutionären Predigt des Fernsehscheichs Youssef Al-Qaradawi, mit der er den Tunesiern gedankt und der Toten gedacht hat, zum Gebet nieder, während weiter Menschen auf den Platz strömen.
Nach dem Gebet erschallt ein neuer Ruf über den Platz. Statt „Das Volk will den Sturz Mubaraks“ heißt es nun: „Das Volk will eine Änderung des Systems.“
Bislang ist das Militär den Demonstranten in einigen Punkten entgegengekommen. Es hat das durch Wahlbetrug zustande gekommene Parlament aufgelöst und die auf Mubarak maßgeschneiderte Verfassung ausgesetzt. Nun sollen zunächst sechs Artikel verändert werden. Zudem hat das Militär am Donnerstag vier hochrangige ehemalige Minister verhaften lassen, darunter den verhassten Ex-Innenminister Habib El-Adly.
Aber die Demonstranten fordern mehr. Sie wollen, dass die Vertreter des alten Regimes aus allen Schaltstellen des Staates entfernt werden. Die Koalition der Revolutionären Jugend, ein loses Bündnis der Gruppierungen, die den Aufstand angezettelt hatten, fordern auch, dass die gegenwärtige Regierung, die in den letzten Tagen Mubaraks eingesetzt worden war, bald durch eine neue Übergangsregierung ersetzt wird, in der kein Vertreter des alten Regimes mehr sitzt.
Außerdem fordern sie eine Untersuchung, wer für die Todesopfer der 18-tägigen Revolte verantwortlich ist – laut Gesundheitsministerium kamen dabei mindestens 365 Menschen ums Leben und wurden 5600 verletzt.
Ferner verlangen die
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