Tagebuch der Lust
„Alisha hat keine Ahnung, sie ist noch zu jung.“
Diese Neuigkeit traf mich wie ein Blitz, allerdings erklärte das die nicht vorhandene Ähnlichkeit zwischen Jethro und Caleb.
„Bevor meine Mutter sich das Leben nahm, schrieb sie mir einen Brief“, erklärte Jethro, als er meinen geschockten Gesichtsausdruck sah. „Darin gestand sie, dass keines ihrer Kinder von Caleb ist. Caleb kann keine Kinder zeugen – wie ich dir ja wohl nicht sagen muss“, sagte er und deutete auf meinen Bauch.
„Aber wer ist dann euer Vater?“, hakte ich nach.
„Meine Mutter stammte aus einer sehr wohlhabenden Familie. Ihre Großeltern haben die Plantage aufgebaut, die Caleb sein Eigen nennt. Meine Mutter lernte Caleb kennen, da war sie gerade einmal sechzehn Jahre alt. Während sie sich aufrichtig in ihn verliebte, suchte er nur eine gute Partie, um einer der Größten zu werden. Ein Jahr später heirateten sie, und von da an machte er meiner Mutter das Leben zur Hölle. Ihre Eltern starben schon recht früh, daher war sie Caleb völlig ausgeliefert. Er übernahm sämtliche Geschäfte, schottete sie von allem ab. Eines Tages lernte sie Frederick Hansen kennen, einen Baumwollhändler aus Charleston. Sie verliebten sich, und er kam immer dann vorbei, wenn sich Caleb auf Geschäftsreise befand. Dann wurde Sarah geboren, danach ich und schließlich Alisha. Alle mit denselben blauen Augen und dem blonden Haar wie Frederick Hansen. Irgendwann verschwand Frederick jedoch, und meine Mutter hat nie wieder etwas von ihm gehört.“
Ich musste diese Geschichte erst einmal auf mich wirken lassen. Caleb hatte seine erste Frau genauso behandelt, wie er es mit mir tat, und sie hatte sich ebenso ein anderes Vergnügen gesucht. Aber letztendlich hatte er seine Frau in den Tod getrieben. Aus Gram über den ungeliebten Ehemann und den Verlust über den Vater ihrer Kinder. Würde Caleb mich auch eines Tages soweit bringen?
„Hat Caleb etwas mit Fredericks Verschwinden zu tun?“, wollte ich wissen.
„Ich weiß es nicht“, erwiderte Jethro. „Meine Mutter hat es wohl vermutet.“
Gedankenverloren starrte ich aus dem Kutschfenster und ließ die nächtliche Ruhe auf mich wirken. Jetzt, da ich die bittere Wahrheit über Caleb kannte, bekam ich eine Vermutung davon, wie mein restliches Leben aussehen würde. Ich konnte nur hoffen, dass Otis eine Lösung für mein Problem fand. Doch was dann? Ich wäre zwar geschieden, müsste die Plantage aber verlassen und da auch die Plantage meiner Eltern in Calebs Besitz war, konnte ich dorthin ebenfalls nicht zurückkehren. Ich musste mir also irgendwo eine Anstellung suchen oder zu einem meiner Geschwister ziehen. So oder so würde ich alles verlieren, denn ein Leben mit Jethro war nicht möglich. Nicht nachdem er die Wahrheit über mich herausgefunden hatte.
„Es tut mir leid, Victoria“, unterbrach Jethro plötzlich meine trüben Gedanken. „Ich hätte schon viel früher eingreifen müssen.“
„Es ist nicht deine Schuld“, erwiderte ich, ohne ihn anzusehen.
„Doch, das ist es“, beharrte er. „Ich liebe dich, Victoria. Ich würde alles tun, um mit dir zusammen zu sein.“
Langsam drehte ich den Kopf in seine Richtung.
„Ist das wahr?“, flüsterte ich ungläubig. „Nach allem, was ich getan habe?“
„Es ist mir egal. Wir sind beide Opfer von Caleb Sheldon. Sieh mich doch an, Victoria. Ich bin ein Nichts. Ich habe mein gesamtes Geld verspielt und versoffen. Ich bin pleite“, gab Jethro zu. „Wir sollten die Vergangenheit ruhen lassen und in die Zukunft blicken.“
Mein Herz pochte wie verrückt. Ich war mir sicher, niemand konnte einen Menschen mehr lieben, als ich in dem Moment Jethro liebte.
„Das wäre mir egal“, antwortete ich. „Ich liebe dich auch einen Penny in der Tasche. Wir können irgendwo ganz von vorne anfangen. Ich war übrigens noch wegen einer anderen Sache bei Otis. Einer Angelegenheit – mich betreffend.“
Jethro sah mich verständnislos an.
„Meine Scheidung“, klärte ich ihn auf. „Ich will mich von Caleb scheiden lassen.“
„Victoria“, rief Jethro und ergriff meine Hände. Ein warmer Schauer schoss durch meinen Körper und ich schloss einen Augenblick die Augen, um dieses Wohlgefühl auf mich wirken zu lassen. Wie lange hatte ich mich danach gesehnt?
„Caleb wird dich eher töten, als das er sich scheiden lässt“, mahnte Jethro eindringlich. „Das kannst du nicht machen.“
„Dann ist es eben so“, gab ich bestimmend zurück. „Ich
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