Tagebuch eines Engels
sich auf eine viermonatige Lesereise. Margot blieb zurück, mietete sich ein kleines, enges Büro auf der Pitt Street mit einem einigermaÃen guten Blick â wenn man sich auf einen Stapel Bücher stellte und den Hals genügend reckte, konnte man die weiÃen Rückenflossen des Opernhauses sehen â und meldete ein Gewerbe an: die Literarische Agentur Margot Delacroix.
Und dann rief Toby an.
»Hallo, Margot. Ich binâs, Toby.«
Es war sechs Uhr morgens. Ganz entgegen ihrer Gewohnheit war sie bereits aufgestanden, tapste barfuà im Morgenmantel in der Küche herum und trank ihr neues Suchtmittel: heiÃes Wasser mit Zitrone und Honig.
»Hallo, Toby. Wie gehtâs Theo?«
»Er ist der Grund meines Anrufs.«
Da fiel ihr auf, dass sie schon über eine Woche nicht mehr mit Theo gesprochen hatte. Sie stieà sich den Zeh am Kühlschrank. Das war die Strafe.
»Tut mir leid, ich hatte einfach so viel um die Ohren â¦Â«
»Es ist was passiert.« Er seufzte. Lange Pause. Da merkte sie, dass er weinte.
»Toby? Geht es Theo gut?«
»Ja. Na ja. Also, ich meine, er ist nicht verletzt oder so. Aber er liegt im Krankenhaus. Er hat gestern bei Harry übernachtet, und die beiden hatten die glorreiche Idee, um die Wette zu trinken. Jetzt liegt Theo mit Alkoholvergiftung im Krankenhaus â¦Â«
Sie drückte sich den Telefonhörer gegen die Brust und schloss die Augen. Das ist meine Schuld, dachte sie.
»Margot? Bist du noch da?«
»Ja, bin ich.«
»Versteh mich nicht falsch. Ich rufe nicht an, damit du ⦠Ich rufe nur an, damit du Bescheid weiÃt. Das ist alles.«
»Möchtest du, dass ich nach Hause komme?«
»Nein, ich ⦠Wieso? Kommst du etwa nach Hause? Wie läuft es denn da drüben?«
Sie zögerte. Sie hätte ihm so gerne von Kit und von dem Buch erzählt. Aber dann dachte sie an ihre Beziehung zu Kit. Toby hatte keine Beziehung mit einer anderen Frau gehabt, seit er bei ihr ausgezogen war. Sie selbst hatte ein paar Affären gehabt. Ihre Trennung war jetzt sieben Jahre her. Sieben Jahre, die vorbeigerauscht waren wie Herbstlaub in einer Bö.
»Es läuft gut. Ja, es läuft wirklich gut. Sag mal, Toby, wie wäre es, wenn ich über Weihnachten rüberkäme? Dann könnten wir vielleicht mal wieder Karten spielen.«
»Ich wette, da würde Theo sich riesig freuen.«
»Ja?« Sie lächelte. »Und du?«
»Ja. Ich würde mich auch freuen.«
Eine Woche später flog sie mit einem Koffer voller kurzer Hosen und Sandalen nach New York, wo es bitterkalt und weihnachtlich war. Sie war nur einige Monate weg gewesen, aber es kam ihr vor, als hätte diese temporeiche Stadt sie bereits überholt â als hätte sie sich im Schritttempo einem Sprint angeschlossen. Sie hatte das Gefühl, dass ihr Platz in New York bereits wieder besetzt worden war. Diese Stadt erforderte eine gewisse Routine â und die hatte sie in Sydneys sonniger, entspannter Atmosphäre verloren. Margot brauchte eine geschlagene halbe Stunde, um ein Taxi heranzuwinken. Ich hüpfte wie ein Flummi auf und ab, weil ich mich so darauf freute, Gaia und James wiederzusehen.
»Hi, Mom«, sagte der magere Kahlkopf an der Tür.
Margot kniff die Augen zusammen. »Theo?«
Er entblöÃte zwei Reihen silberner Zahnspangen und neigte sich dann zögerlich nach vorne, um sie in den Arm zu nehmen.
»Schön, dich zu sehen, Kleiner«, sagte sie leise.
Er wandte sich ab und schlurfte gähnend wieder hinein. Margot folgte ihm samt ihrem Gepäck.
»Dad, Mom ist da.«
Die beim Fenster sitzende Gestalt erhob sich. »Ich dachte, du würdest vom Flughafen aus anrufen, dann hätte ich dich abgeholt«, sagte er unsicher. »Hast du dir ein Taxi genommen?«
Margot beachtete ihn gar nicht und starrte Theo an.
»Hast du deine Haare der Wohlfahrt gespendet?«
»Ich habe Krebs. Vielen Dank für dein Feingefühl.«
Toby lächelte entschuldigend und vergrub die Hände in den Taschen. »Er hat sich bereits für die Weltmeisterschaften in Sarkasmus qualifiziert.« Er lehnte sich nach vorne und küsste Margot unbeholfen auf die Wange. »Wirklich schön, dich zu sehen, Margot«, sagte er.
Sie lächelte und senkte den Blick.
Theo stand immer noch da. Ihm brannte ganz offensichtlich etwas auf der Seele. Toby sah ihn
Weitere Kostenlose Bücher