Tagebuch eines Engels
tun konnte, um sie zu beschützen, holte ich Hilfe.
Eines frühen Morgens kehrten Margots Zimmergenossen von der Nachtschicht nach Hause zurück. Bekifft bis zum Anschlag, kamen sie auf die lustige Idee, Margot mit Alkohol abzufüllen. Aus dem Augenwinkel nahm ich durchs Fenster unten auf der StraÃe ein helles Licht wahr, das sich bewegte. Bei genauem Hinsehen erkannte ich in dem Jogger in weiÃem Sweatshirt und dunkelblauen Shorts den schweiÃgebadeten Dr. Edwards. Er lief so schnell, dass er bereits über dreiÃig Meter entfernt war, als ich endlich entschied, ihn zu holen. Ich schloss die Augen und betete â zum ersten Mal â zu Gott, er möge mich zu ihm durchdringen lassen. Nan hatte gesagt, nichts sei endgültig, und ich vermutete, dass dies buchstäblich Margots letzte Chance war. Wenn ich jetzt nicht handelte, würde das Leben, das ich gelebt hatte, vorbei sein, bevor meine Erinnerung daran einsetzte, und dann würde es keine zweite Chance mehr geben.
Kaum hatte ich mein »Gebet« beendet, joggte ich auch schon neben Dr. Edwards her. Von unserer letzten Begegnung wusste ich noch, dass ich seine Liebe zur Logik überwinden musste. Dr. Edwards würde niemals intuitiv handeln. Ich würde ihm irgendeine Geschichte verkaufen müssen. Ich würde sie so erzählen müssen, dass sie ihn zum Handeln veranlasste.
Während ich so neben ihm her joggte und mir das Hirn zermarterte, wie ich diesen Mann dazu bringen könnte, an diese Haustür zu klopfen und Einlass zu fordern, stand ich plötzlich vor ihm â ja, ich stand, wie angewurzelt, und er kam auf mich zu und sah mich direkt an.
»Kann ich Ihnen helfen?«, fragte er und blieb keuchend stehen. Ich sah mich um. Kann er mich sehen? Ich warf ihm einen schnellen Blick zu, sehr darauf bedacht, seine Aufmerksamkeit nicht wieder zu verlieren, und gleichzeitig bemüht, sicherzugehen, dass er auch wirklich mit mir redete. Ich sah, wie seine Gefühle und Gedanken ihn umhüllten. Und statt jener dünnen Fäden, die ich manchmal zu sehen bekam, wenn mir jemand erlaubte, in sein Bewusstsein einzudringen, sah ich einen schmalen Strang, der sich mit meiner Aura verband und der uns in dem Moment auf der gleichen Ebene vereinte. Ich war fasziniert.
Doch dann rief ich mich selbst zur Räson. Die Zeit drängte.
In dem Haus da ist ein Kind, informierte ich ihn und zeigte auf Sallys und Padraigs Haus. Sie haben ihm mal das Leben gerettet. Das Mädchen braucht Ihre Hilfe, Sie müssen es noch mal retten.
Er drehte sich langsam zu dem Haus um und betrachtete es. Er machte einen Schritt darauf zu. Dann noch einen. Da sah ich einen Streifenwagen um die Ecke biegen und rannte los. Dr. Edwards war kein Superheld, er würde Unterstützung brauchen. Ich lief zum Polizeiwagen, griff unter die Motorhaube, als der Fahrer Gas gab, und riss ein Kabel raus. Es funktionierte. Der Motor stotterte und soff ab. Die beiden Beamten stiegen umgehend aus.
Dr. Edwards wurde es ziemlich mulmig zumute, als er bemerkte, dass diejenige, die ihn gerade über ein im Sterben begriffenes Kind in Kenntnis gesetzt hatte, jetzt nirgends mehr zu sehen war. Er ging langsam auf das Haus zu und klopfte an. Nichts rührte sich. Er sah die StraÃe hinauf und hinab, dehnte die Beine und klopfte noch mal an. Ich sorgte dafür, dass Sergeant Mills, der Polizeibeamte, der sich den Motor des Streifenwagens ansah, auf Dr. Edwards aufmerksam wurde. Sergeant Mills hatte Gerüchte über dieses Haus gehört, und ein nur knapp bekleideter Mann, der im Morgengrauen gegen die Tür hämmerte, untermauerte seinen Argwohn zusätzlich.
In dem Moment, in dem Sergeant Mills und Sergeant Bancroft sich ihm näherten, wurde die Tür geöffnet. Aber nur einen Spaltbreit. Padraigs übler Mundgeruch lieà Dr. Edwards einen Schritt zurückweichen.
»Ãh, guten Morgen«, stammelte Dr. Edwards. Er kratzte sich am Kopf, weil er nicht wusste, was er sagen sollte. »Ich habe gehört, dass hier ein krankes Kind wohnt. Ich bin Dr. Edwards.« Er zog seinen Krankenhausausweis hervor. Weder er noch ich wusste, wie der in seine Hosentasche gekommen war.
Die Tür wurde etwas weiter geöffnet. »Ein krankes Kind?«, wiederholte Padraig. Er wusste von einem Kind. Konnte gut sein, dass es krank war. Er hatte eigentlich keine groÃe Lust, den Doktor reinzulassen. Aber er würde vielleicht Schwierigkeiten bekommen,
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