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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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zwischen den Brüsten. Ich hatte nie gewusst, woher sie kam. Jetzt wusste ich es.
    Von da an wiederholte ich alles, was ich während meiner Vision gehört hatte, und Dena wiederholte alles, was ich sagte. Und dann ging mir auf: Die amerikanische Frauenstimme, die ich während der Vision gehört hatte, war Denas gewesen. Es war tatsächlich so, wie Nan gesagt hatte: All das war schon einmal passiert. Ich habe schon einmal hier gestanden. Mein Begriff von Zeit löste sich auf. Die Zeit schlug Falten und legte sich in mehreren Schichten übereinander. Mir wurde schwindelig.
    Nach Abschluss der OP verließen alle außer Kyle, Dena, Lucille und meiner Wenigkeit den Saal. Wir vier standen um Margot herum, wie sie reglos auf dem OP-Tisch lag, und hofften inständig, sie möge aufwachen.
    Â»Warum hast du den Eingriff so vorgenommen?«, fragte Kyle schließlich.
    Lucille schüttelte den Kopf. Die beiden waren mal Geliebte gewesen, darum waren sie ganz ehrlich miteinander. »Ich weiß es nicht. Keine Ahnung.« Sie zog die Handschuhe aus. »Jetzt lasst uns beten, dass es funktioniert.«
    Zwei Wochen später wurde Margot – noch schwach und mit Schmerzen – aus dem Krankenhaus entlassen. Doch es gab deutliche Anzeichen der Besserung. Ihre ersten Worte, als sie aus der Narkose erwachte, galten der Frage, ob sie etwas Schokoladenkuchen haben könne. Karina hatte ihr eine Beatles-LP geschickt, die sie an die Brust drückte wie eine Prothese. Sie machte sich nichts aus den Gesprächen zwischen Ärzten und Schwestern darüber, dass sie fast gestorben wäre. Sie wollte einfach nur wieder in Karinas Zimmer tanzen, inmitten einer Wolke aus rosa Puder und Glitzerstaub.
    An einem frühen Nachmittag waren wir wieder zu Hause bei Familie Edwards. In der Einfahrt lag ein Teppich aus orangefarbenen und gelben Blättern. Daraus schloss ich, dass Herbst war. Das Wetter in Nordirland bietet einem nur wenige Anhaltspunkte, was die Bestimmung der Jahreszeiten angeht.
    Die Mädchen waren nicht zu Hause – Karina war auf einer Party, Kate auf einer Klassenfahrt im Ausland. Kyle trug Margot nach oben und legte sie ins Bett. Er maß Fieber, schüttelte die Kissen auf und klemmte ihr Teddys unter die Arme, damit sie sich nicht einsam fühlte, falls sie nachts aufwachen sollte. Ich sah es alles ganz deutlich. Er liebte sie.
    Er ging nach unten. Ich blieb bei Margot, um einen Plan zu schmieden. Warum sollte ich nicht dafür sorgen, dass sie hierbleiben und mit einer Familie, in einem Zuhause und mit einer Zukunft aufwachsen konnte? Warum sollte ich nicht die Puzzleteile leicht verschieben? Ich dachte über die Geschehnisse im OP nach. Nichts ist endgültig. Ich war gerade dabei, zu begreifen, dass ich die Vergangenheit nicht einfach nur besuchte und mir die Galerie des einst Geschehenen ansah, sondern dass ich aktiv daran teilnahm: Ich trug Farbe auf die schwarze Leinwand der Zukunft auf, um mal eine von Nans Metaphern zu bemühen. Vielleicht konnte ich die Einzelheiten ein klein wenig verändern, neue Wege für Margot skizzieren, solange sie nur alle in die gleiche Richtung führten.
    Als ich von unten laute Stimmen hörte, ließ ich die schlafende Margot allein und ging hinunter, um nachzusehen, was los war.
    Sie waren in der Küche. Lou stand an der Spüle, den Blick hinaus in den bald im Dunkeln liegenden Garten hinter dem Haus gerichtet. Kyle sah aus, als würde er sich am Herd festhalten. Es herrschte eine Atmosphäre wie nach einem Waldbrand. Ich konnte die beiden kaum sehen vor lauter Gefühlsnebelschwaden, die den Raum verhängten.
    Beide schwiegen eine ganze Weile. Dann, endlich, sagte Kyle: »Scheidung.«
    Ich meinte hinter diesem einen Wort ein Fragezeichen zu hören. Ich sah zu Lou.
    Â»Das habe ich nicht gesagt.«
    Â»Du hast gesagt, du willst ausziehen.«
    Lou drehte sich um. Ihre Wimpern waren tränennass. Sie zuckte mit den Schultern. »So viele Leute bleiben verheiratet, obwohl sie nicht mehr zusammenleben. Das ist doch ohnehin das Einzige, das uns noch verbindet, oder? Wir leben zusammen. Nebeneinander. Wir existieren nebeneinanderher.«
    Und dann teilten sich die Rauchschwaden. Kyle drehte sich um und ging hinaus. Sofort schrie sie hinter ihm her:
    Â»Ja, prima, Kyle, genau das ist die Lösung, deine Lösung für alles: vor dem Problem davonlaufen!«
    Er machte auf dem Absatz kehrt und stürmte zu

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