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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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ihr zurück, wobei er mich um ein Haar umwarf.
    Â»Du bist es doch, die immer davonläuft!«, zischte er sie an. »Nach Dublin, deine Eltern besuchen? Du kannst die beiden nicht ausstehen, Lou. Für wie blöd hältst du mich eigentlich? Ich weiß Bescheid.«
    Ihre Kinnlade klappte herunter. Und jetzt sah ich es: Ihr ganzer Körper war von der Aura eines anderen Mannes umgeben. Im roten Strom ihrer Aura floss ein grüner Bach. Sie kannte ihren eigenen Mann nicht gut genug, um sich denken zu können, dass er bereits dahintergekommen war. Sie sah zu Boden.
    Â»Was ist mit den Mädchen?«, fragte Kyle deutlich besonnener. »Wo werden sie leben?«
    Alles hatte sie bereits durchdacht, nur das nicht. Ich sah, wie ihre Träume an den Klippen der Realität zerschellten. Lou und ihr Geliebter hatten nur darüber gesprochen, wie sie am Strand von Tralee eisgekühlten Chardonnay trinken und den endlosen Horizont bewundern würden. Über das Sorgerecht für die Kinder hatte sie nicht nachgedacht.
    Â»Ich nehme sie mit.«
    Kyle schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme vor der Brust. Er hatte bereits eine Entscheidung getroffen. In den zwei Sekunden, in denen sie mit einer Antwort gezögert hatte. Er würde ausziehen. Dann konnten die Mädchen mit ihrer Mutter hier im Haus bleiben. Er dachte an Margot. Seine Aura zog sich kurzfristig in sein Innerstes zurück. Nur widerwillig sah er ein, dass es nur eine Möglichkeit gab. Er würde sie auch hierlassen müssen. Es war ihm ein gewisser Trost, dass sie und Karina sich so gut angefreundet hatten. Es würde ihnen allen Stabilität und Sicherheit geben, wenn sie hierblieben. Nur er wäre nicht mehr da.
    Mir sank das Herz. Kyle rannte nach oben und suchte seinen Koffer. Dann fiel ihm ein, dass er gar keinen hatte. Wütend zerrte er Lous Schildkrötenpanzerkoffer unter dem Bett hervor. Stumm vor Trauer sah ich ihm dabei zu, wie er Anzüge und Hemden hineinwarf, ein paar Fachbücher, einige Fotos. Lange saß er neben Margots Bett, die zitternde Hand auf ihrer linken Brust, und betete aus tiefstem Herzen: Wenn es dich gibt, Gott, wenn du mich hören kannst, dann sorg dafür, dass es ihr gut gehen wird.
    Mit jedem Wort wurde das sie umgebende Licht stärker.

    Sie kamen überein, Kyles plötzliches Verschwinden vorerst als dringende Geschäftsreise zu deklarieren. Kate und Karina stellten keine Fragen – Lou schaffte zur Ablenkung einen Labradorwelpen an –, aber Margot zog sich zurück. Manchmal saß sie nachmittags stundenlang auf der untersten Treppenstufe im Flur und wartete. Nichts von dem, was ich veranstaltete, brachte sie auch nur zum Lächeln. Sie sah mich nicht einmal mehr an. Zuerst dachte ich, sie würde auf Kyle warten. Aber Kinder sind so viel klüger. Sie wartete darauf, dass jemand ihr sagte, dass er nicht wiederkommen würde.
    Einige Zeit später fuhr Lou mit Karina, Kate und Margot bis nach Schottland, um Karina zur Uni in Edinburgh zu bringen, wo sie Geografie studieren wollte. Auf dem Rückweg machten sie einen Schlenker durch Nordengland und hielten schließlich vor einem großen, grauen Gebäude mitten in der Walachei. Es war das St.-Anthonys-Kinderheim, und als sie es wieder hinter sich ließen, hatten sie einen weiteren freien Platz im Auto. Lou und Kate saßen vorne, und Margot stand, einen Teddy unter den Arm geklemmt und eine kleine Reisetasche zu ihren Füßen, im Hof des Kinderheims. Ihr kleines Herz pochte.
    Â»Papa«, sagte sie, als sie dem Auto nachsah. Ich blickte an dem grauen Gebäude hoch und schauderte. Ich konnte mich nur zu gut an diesen Ort erinnern.

– 8 –
    SHEREN UND DIE GRUFT
    Ich möchte hier ein für alle Mal loswerden, was ich über dieses Kinderheim noch weiß, das ich von kurz vor meinem vierten Geburtstag bis zum Alter von zwölf Jahren, neun Monaten und sechzehn Tagen ertragen musste.
    Zunächst einmal sollte ich erwähnen, dass ich den Großteil meines Erwachsenenlebens damit verbracht habe, jenen tiefen Schmerz, den das Heim in meinem Inneren verursacht hatte, mithilfe von Alkohol zu betäuben. Das ist keine Entschuldigung. Aber jetzt, wo ich die Umstände sehe, unter denen ich dorthin kam – nachdem ich erfahren hatte, was es bedeutet, geliebt zu werden, nachdem ich die Wärme und Geborgenheit bei den Edwards erlebt und ein eigenes Zimmer gehabt hatte, das so

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