Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
Vom Netzwerk:
wie Papa binnen Sekunden um Jahre alterte und sich in seiner Miene schlagartig tiefster Kummer spiegelte.
    Und dann sah ich doch hin, und als ich den Ausdruck in seinem Gesicht erkannte, wurde mir klar, dass es nicht Kummer oder Enttäuschung oder Wut war, was sich dort abzeichnete. Und auf jeden Fall nichts, was sich gegen Margot richtete.
    Es war sein eigenes Versagen.
    In seinem Ausdruck sah ich Irinas und sein Kind verewigt, jenes Kind, das sie nicht hatten haben wollen. »Sachte, sachte«, flüsterte Irina ihm zu. »Das Kind braucht jemanden, der es berät, nicht jemanden, der es verurteilt.«
    Er beugte sich langsam ganz weit zu ihr herunter, so weit, dass sie die Trauer in seinem Blick sehen konnte.
    Â»Ganz gleich, wofür du dich entscheidest, Margot, du musst es dir sehr gut überlegen. Und dabei darfst du nicht nur an das Hier und Jetzt denken – vielmehr musst du dabei in erster Linie an die Zukunft denken.«
    Er ließ sich neben sie aufs Sofa plumpsen und hielt ihre kalten, zitternden Hände. »Liebt er dich?«
    Â»Wer?«
    Â»Der Vater.«
    Â»Ja. Nein. Ich weiß es nicht.« Ihre Stimme war nur noch ein Flüstern, die Tränen tropften ihr von den Lippen in den Schoß.
    Â»Denn wenn er dich liebt, dann habt ihr eine Chance. Wenn er dich nicht liebt, musst du vor allem an deine eigene Zukunft denken.«
    Wieso schrie er sie denn jetzt nicht an und schmiss sie raus? Seine ruhige, besonnene Art verwirrte sie nur noch mehr. Wieder legte ich die Hand auf ihren Kopf. Ihr rasender Herzschlag beruhigte sich. Nach einer Weile sagte sie:
    Â»Ich muss herausfinden, ob er mich liebt.«
    Graham nickte. »Das wird das Beste sein.« Er sah zu dem Bild von Irina auf dem Kaminsims. Im selben Moment lächelte Irina mich an und verschwand dann dorthin, woher auch immer sie gekommen war. »Wo Liebe ist, ist auch ein Weg.«
    Ich erinnerte mich, dass ich die Antwort bereits wusste. Und die Lösung kannte ich auch schon. Aber ich wollte doch so gerne, dass jemand anderes es mir sagte und mir bestätigte, dass ich kein schlechter Mensch war, nur weil ich es loswerden wollte.
    Bitte verstehen Sie das: Margots Gedanken fühlten sich an wie Peitschenhiebe auf meinem Rücken. Das heißt, vor allem die jugendliche Ignoranz dessen, was ihr durch den Kopf ging. Nicht ein einziges Mal bedachte sie bei all dem, dass es sich um ein menschliches Wesen handelte – um einen Säugling. Sie betrachtete diese Schwangerschaft als einen Maulwurfshügel in ihrem Leben, den sie plattmachen musste. Mann, bin ich blöd, dachte sie, und ich dachte an Margot als Baby, wie sie geboren und dann verlassen wurde, wie mein Wunsch, sie möge überleben, immer stärker und schließlich unstillbar wurde. Wie soll ich mich denn bitte um ein Baby kümmern? Und wieso sollte ich das überhaupt wollen?, dachte sie. Und ich dachte, von Schuldgefühlen geplagt, dass es vielleicht besser gewesen wäre, wenn Margot gestorben wäre, wenn ich gar nicht gelebt hätte. Margot dachte noch so einiges mehr – düstere Gedanken, die ich lieber nicht zu Papier bringen möchte.
    Sie machte eine Klinik in London ausfindig, die für glatte zweihundert Pfund die Abtreibung vornehmen würde. Sie erzählte Graham davon, der einfach nur nickte, sagte, dass er ihr das Geld dafür geben würde, sie aber sehr tapfer sein müsse, weil der Eingriff verdammt wehtat.
    Erst eine Woche später erzählte sie Seth davon. Seine Kinnlade klappte herunter, dann wandte er den Blick ab und lief im Zimmer auf und ab. »Seth?«, sagte sie schließlich. Er wandte sich ihr zu, sah sie direkt an. Sein breites Lächeln, seine strahlenden Augen ließen Zweifel in ihr aufkommen. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass er sich freuen würde. Vielleicht war die Schwangerschaft ein Glücksfall. Vielleicht würden sie zusammenbleiben. Vielleicht sollte sie das Kind doch behalten.
    Ich wusste, was als Nächstes kommen würde. Als handele es sich um die Schritte bei einem Walzer. Ich fing den größten Schwung seines Schlages ab. Trotzdem verlor Margot das Gleichgewicht. Sie stützte sich an der Rückenlehne eines Sessels ab und drehte sich dann benommen und kurzatmig wieder zu ihm um.
    Â»Seth!?«
    Und dann erklang eine Stimme aus meinen Flügeln, die durch sämtliche Kammern meiner Seele hallte. Lass los. Ich schritt ein, um seine nächsten Schläge

Weitere Kostenlose Bücher