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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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um unsicheres, intertextuelles Gelaber, das leicht motzig daherkam und vor rückbezüglichem Post-McCarthyismus triefte. Der junge Toby Poslusny war kein Meister seines Fachs – und es würde noch viele Jahre dauern, bis er das wurde. Aber in den Augen einer jungen, leicht heimwehgeplagten Literaturliebhaberin, die ganze Passagen aus Sturmhöhe wörtlich rezitieren konnte, waren Tobys Zeilen gespickt mit wunderbarer konfessioneller Symbolik.
    Und so kam es, dass der Mann, der Tom aus Margots Gedanken verscheuchte, nicht Toby war, sondern eine seiner Figuren. Tom kam noch fünf Mal zum Buchladen. Aber Margot war immer irgendwo unterwegs auf einem ihrer Beutezüge zu anderen Buchläden, in der Hoffnung, dort die Art von Büchern zu finden, die in Bobs Regalen stehen sollten, und in Gedanken ganz bei Tobys Geschichte. Sie ärgerte sich zunehmend über die verstaubten Bücher verstorbener weißer Männer, die sich in Bobs Buchladen stapelten. Und obwohl sie die Fassade hell gestrichen, die flackernden Glühbirnen ausgetauscht und ein ganzes Wochenende damit verbracht hatte, das Ladenschild zu reparieren, wollten die Leute, die sich in das Geschäft wagten, einfach nicht Hemingway oder Wells lesen. Sie verlangten nach jenen neuen, wütenden Stimmen aus den Detroiter Ghettos, aus den besetzten Häusern in London, Manchester, Glasgow, aus den Stahlbetonbauten Moskaus. Nach JFK, Vietnam, Watergate und einem Serienmörder direkt unter ihnen wollten sie Bücher lesen, die der spleenigen Überspanntheit eine Stimme gaben.
    Ich fand mich schließlich damit ab, dass sich die Sache mit Tom erledigt hatte, und unterstützte Margot nach Kräften bei ihrem nächsten Schritt, obwohl ich natürlich wusste, welchen Preis sie dafür bezahlen musste. Sie wollte in New York Literatur studieren.
    Sie rief Graham an.
    Â»Hey, Papa! Ich bin’s! Wie geht’s dir?«
    Am anderen Ende der Leitung war ein gedämpftes Schnauben zu hören. »Margot? Margot, bist du das?«
    Sie sah auf die Uhr. Sie hatte das mit der Zeitverschiebung mal wieder verbaselt. In England war es vier Uhr früh.
    Â»Margot?«
    Â»Ja, Papa. Tut mir leid. Hab ich dich geweckt?«
    Â»Nein, nein.« Er hustete – was klang, als würde jemand Schotter schaufeln –, dann spuckte er aus. »Nein, gar nicht. Ich wollte sowieso gerade aufstehen. Du klingst aufgeregt, was ist denn los?«
    Da erklärte sie ihm atemlos, was sie vorhatte. Er amüsierte sich über ihre Wortwahl: »die Gelegenheit, zu verhindern, dass ich zu einem dieser Philister werde, die unser Land regieren«. Er fragte sie, wie viel das Studium kosten würde, und binnen einer Minute gab er grünes Licht. Er würde die Studiengebühren zahlen und ihr telegrafisch Geld für ein Jahr Unterkunft bei Bob überweisen. Er hatte nur eine Bitte: dass sie seinen neuesten Roman lesen und ihm dazu Feedback geben möge. Abgemacht.
    Erinnern Sie sich noch an die Immobilie, die ich mal erwähnt habe? Die, mit der Margot zur Multimillionärin geworden wäre? Ich beobachtete den Immobilienmarkt in Midtown West sehr genau und versuchte Margot manchmal dazu zu bringen, über das apokalyptisch anmutende Ödland hinwegzusehen und stattdessen an die Nähe zum Times Square zu denken, die Bandenkriege und Polizeirazzien zu ignorieren und sich auf den unvorstellbar niedrigen Preis zu konzentrieren. Das Geld, das von Graham kam, war genug, um eine Parzelle von viertausend Quadratmetern zu kaufen. Und die Bank würde bestimmt den Rest finanzieren, um zum Beispiel ein bescheidenes Hotel zu errichten. Ich ließ sie nachts davon träumen. Ich ließ sie Bilder sehen von luftigen Hotelzimmern mit gestärkten Leinenlaken, rosa Pfingstrosen auf dem Nachttisch, einem Kamin in der Lobby … Ich kam mir wie eine Filmregisseurin vor, nur dass ich keine Kamera brauchte, sondern einzig meine Phantasie und meine Hand, die ich Margot auf die Stirn legte. Als sie aufwachte, sehnte sie sich plötzlich nach einem weicheren Bett, einer heißen Dusche und Zimmerservice. Aber die Idee von dem Hotel setzte sich nicht durch. Die Uni war stärker. Margot brannte vor akademischem Feuereifer.
    Also trottete ich wie eine abgestumpfte alte Ziege über den Washington Square Park bis hin zur New York University hinter ihr her, dann die Treppen zu dem alten viktorianischen Gebäude mit dem undichten Dach hinauf, und

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