Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
Vom Netzwerk:
setzte, bohrte sie die Ellbogen in die Oberschenkel, stützte den Kopf in die Hände und weinte. Ihre Schluchzer waren langgezogen und kamen aus ihrem allertiefsten Innern. Manchmal ist der weiteste Weg der zwischen Verzweiflung und Akzeptanz.
    Margot blieb auf der Bank sitzen. Dutzende von Radfahrern sausten vorbei, die Sonne durchlief ihre verschiedenen Goldtöne. Schließlich glühte die Stadt bronzefarben, und der Hudson brannte.
    Ich versuchte vergeblich, mich an diesen Moment zu erinnern. Also gab ich es auf und fing an zu reden.
    Hey, Kleines. Überlegst du, ob du von der Brücke springen sollst? Kannst du gerne versuchen, aber die Anti-Selbstmord-Truppe ist bereits hier gewesen. Ich zeigte auf das Schutzgitter am Geländer.
    Da fing sie wieder an zu weinen. Ich sprach etwas sanfter weiter. Nicht dass sie mich hören konnte. Aber vielleicht konnte sie mich ja spüren.
    Was ist denn los, Margot? Warum bist du immer noch hier? Warum steckst du die Nase nicht in deine Bücher, wie du’s versprochen hast, und machst was aus dir? Und dann ertappte ich mich selbst dabei, wie ich Plattitüden von mir gab wie »Die Welt liegt dir zu Füßen«. Ich seufzte und versuchte es mit einer anderen Taktik.
    Die ganzen Typen, mit denen du schläfst – macht dich irgendeiner von denen glücklich? Liebst du auch nur einen einzigen von ihnen?
    Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein«, murmelte sie. Tränen liefen ihr übers Gesicht.
    Ich bohrte weiter. Warum tust du das dann? Was ist, wenn du wieder schwanger wirst? Oder dir HIV einfängst?
    Sie blickte auf, wischte sich das Gesicht ab und lachte. »Jetzt führe ich schon Selbstgespräche. Ich bin ja wohl echt durchgeknallt.« Sie lehnte sich auf die Ellbogen gestützt nach vorne und ließ den Blick bis hinter die Skyline schweifen. Sie sah so weit bis zum Horizont, wie sie konnte.
    Â»Letztendlich sind wir doch alle ganz allein auf dieser Welt«, sagte sie leise.
    Und dann erinnerte ich mich an jene übermächtige, die Seele zerreißende Sehnsucht nach Rettung. Ich erinnerte mich daran, dass ich mich auf der Brücke fühlte, als sei ich Millionen von Kilometern vom Land entfernt, als säße ich auf einem Felsen mitten im All fest. Und keiner kam.
    Nur ich war da. Ich schlang die Arme um sie. Dann spürte ich weitere Arme auf meinen, dann noch mehr Arme. Und als ich aufsah, waren Irina und Una da, Geister zu Besuch aus dem Jenseits, die mich und Margot umarmten und ihr zuflüsterten, dass alles gut war, dass sie da waren, dass sie auf sie warteten. Ich weinte und berührte ihre Hände, wollte sie so lange ich konnte halten, und sie küssten mich und hielten mich fest und sagten mir, dass sie immer da seien und dass sie mich vermissten. Ich weinte, bis ich glaubte, das Herz würde mir brechen. Das Margots Kopf umgebende Licht flackerte wie eine Kerze auf See.
    Dann stand sie auf. Ihr Ausdruck war entschlossen. Langsamen Schrittes verließ sie die Brücke und nahm ein Taxi nach Hause. Und die Sterne verbargen ihre Geheimnisse hinter einer undurchdringlichen Wolke.

    Die schlechte Nachricht war, dass Margot durch sämtliche Prüfungen fiel. Aber ihr Versagen barg auch eine Bestleistung: Sie war in ihrem Jahrgang die Studentin, die die meisten Prüfungen in den Sand gesetzt hatte. Man könnte also sagen, sie war mit Bravour durchgefallen. Bob schmiss eine Bücher-und-Bier-Party für sie, und die beiden verbrachten einen viel zu lauten Abend damit, Margots kolossales akademisches Fiasko zu feiern.
    Die gute Nachricht war, dass sie ihr erstes Studienjahr wiederholen durfte. Es gelang mir, zu ihr durchzudringen und sie dazu zu bewegen, einen Plan zu schmieden. Sie konnte Graham auf gar keinen Fall erzählen, dass sie wegen eines Besäufnisses viel Geld verschwendet hatte. Also nahm sie sich vor, sich noch zwei Jobs zu suchen, den ganzen Sommer über zu sparen und die zweite Runde des ersten Studienjahres selbst zu finanzieren.
    Schon bald kellnerte sie wochentags in einem irischen Pub und ging mit den Hunden reicher Leute an der Upper East Side Gassi. Ein Blick auf das bellende Bündel am Ende der Leine, und ich wusste, dass wir nun Sonya Hemingway begegnen würden.
    Ich hatte zwei Gründe, nichts dagegen zu unternehmen.
    Erstens war Sonya der letzte Schrei. Sie war groß, kurvenreich und hatte kupferrote Haare, die ihr bis zu den Hüften reichten und die sie

Weitere Kostenlose Bücher