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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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jeden Morgen mindestens eine halbe Stunde lang glättete. Sie war ein Fan schwindelnder Höhen, harter Drogen und halber Wahrheiten. Sie hatte null Komma gar keine langfristigen Ziele. Sie war entfernt mit Ernest Hemingway verwandt, oder zumindest behauptete sie das gegenüber Designern, Drogendealern und jedem anderen, der den Fehler machte, ihr zuzuhören. Und das zahlte sich aus. Ihre Lügengeschichten bescherten ihr unter anderem eine steile Modelkarriere und einen nie enden wollenden Sturm halluzinogenen Schnees.
    Zweitens war eine meiner Fragen immer noch unbeantwortet: Hatte sie nun eine Affäre mit Toby oder nicht? Ich dachte mir, wenn ich jetzt schon mal in der Position bin, diese ganz spezielle und existenzielle Pikanterie aufzuklären, sollte ich das auch ausnutzen.
    Doch wir entfernten uns von ihr. Der Hund – Paris – tapste gehorsam an der Leine neben Margot her. Ich sah mich um und suchte die Straße nach Sonya ab. Sie war auf der anderen Seite der Fifth Avenue. Vielleicht sollte ich einschreiten, dachte ich.
    Ich bückte mich. Erst kraulte ich Paris’ flauschige Ohren, dann drückte ich die Hand auf seine Stirn. »Na, mein Junge? Wie wär’s mit ein bisschen Fresschen?« Paris fing begeistert an zu sabbern. Ich schickte jede Menge Bilder von leckerem Hundeessen in sein Köpfchen. »Na, worauf hättest du denn Lust, hm? Truthahn? Schinken?« Ein Truthahnbraten und Schinkenspieße geisterten durch Paris’ Kopf. Er kläffte. »Warte, ich weiß schon«, sagte ich. »Eine Megatonne Salami!«
    Jetzt flitzte Paris los. Etwas schneller, als ich erwartet hatte, und mit erstaunlicher Kraft. Er zerrte Margot mit sich, quer über die Straße, und zwang zwei Taxis und einen Chevy nur Zentimeter von Margot entfernt zu Notbremsungen. Margot schrie und ließ die Leine los. Paris raste weiter. Sein Schwanz rotierte wie ein Propeller. Ein weiteres Auto machte eine Vollbremsung, und ein Fahrradfahrer flog über den Lenker hinweg in einen Hotdog-Stand. Besonders lustig fand er das nicht.
    Schuldbewusst überquerte Margot die Straße – allerdings erst, als die Fußgängerampel auf Grün gesprungen war. Als wolle sie sich entschuldigen. Auf der anderen Straßenseite angekommen, rannte sie zum Feinkostladen. Ich stand bereits an der Eingangstür und lachte – als Engel fand ich diese Szene entschieden lustiger. Paris war zielstrebig in Richtung der neuen Lieferung von Schweinefleisch ganz hinten im Laden geflitzt und hatte in seinem Übereifer, auch ja das größte Stück abzubekommen, den Wasserspender umgeworfen, dessen Inhalt sich über den gesamten Fußboden ergoss. Der Ladenbesitzer tobte und scheuchte Paris hinaus. Paris leistete ihm gerne Folge – er hatte ja bereits einen ordentlichen Fleischknochen zwischen den Beißern. Margot schnappte sich Paris, schlug ihm ein paar Mal auf die Schnauze und schleppte ihn dann noch mal in den Laden, um sich zu entschuldigen. Sie ging direkt auf den Besitzer zu, der sich bemühte, die auf dem Boden verteilten Fleischreste aufzusammeln.
    Â»Es tut mir so leid! Ich werde Ihnen das alles bezahlen! Bitte schreiben Sie alles auf, ich komme dann sobald ich kann mit dem Geld wieder.«
    Der Ladenbesitzer funkelte sie böse an und machte ihr auf Italienisch klar, dass sie sich ihre Entschuldigungen sonst wo hinstecken könnte. Margot bemerkte die junge Frau mit den langen roten Haaren in der Ecke. Sie war bei Paris’ kleiner Eskapade klitschnass geworden und besah sich lachend ihre triefenden Klamotten. Es war Sonya.
    Â»Hey, das tut mir leid«, sagte Margot. »Das ist nicht mein Hund …«
    Sonya wrang ihre Haare aus. »Bist Engländerin, stimmt’s?«
    Margot zuckte mit den Schultern. »Gewissermaßen.«
    Â»Klingst aber gar nicht wie die Queen.«
    Â»Tut mir echt leid mit deiner Bluse. Ist die hinüber?«
    Sonya ging auf sie zu. Sie hatte die Angewohnheit, sämtliche Regeln bezüglich angemessener Distanz zu missachten. Sie rückte wildfremden Menschen – in diesem Fall Margot – so dicht auf die Pelle, dass sich ihre Nasenspitzen fast berührten. Sie hatte als viel zu junges Mädchen auf die harte Tour gelernt, dass die Menschen auf Konfrontation reagierten. Manchmal auf positive Weise, manchmal auf negative. So oder so bekam sie die gewünschte Aufmerksamkeit.
    Â»Und, Gewissermaßen-Engländerin,

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