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Tagebuch eines Engels

Tagebuch eines Engels

Titel: Tagebuch eines Engels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carolyn Jess-Cooke
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Er fixierte mich. »Du hasst Dad.«
    Ich trat einen Schritt zurück. Wenn du wüsstest, dachte ich. »Ich hasse ihn nicht«, war die beste Antwort, die mir einfiel. »Ich liebe deinen Vater.«
    Er sah mir an, dass ich die Wahrheit sagte. »Kann gar nicht sein.« Ich wiederholte es, und er glaubte mir. Ich glaube, das rüttelte ihn ein wenig auf, ließ Möglichkeiten in seinem Kopf herumsausen wie Murmeln, entzündete eine Kerze tief in ihm drin.
    Â»Die anderen Sachen will ich gar nicht«, sagte er. »Ich will nur Karten spielen.«
    Puh, dachte ich. Ich hatte nämlich absolut keine Ahnung, wo ich die hundert Dollar hätte herzaubern sollen.
    Wir gingen nach Hause. Nan war da, als ich meinen Mantel aufhängte, sie glich wieder einem schimmernden Nebel und stand neben der Treppe. Ich machte einen erleichterten Stoßseufzer. Sie gab mir Rückendeckung. Trotzdem zerbrach ich mir den Kopf, denn ich hatte eigentlich nicht geplant, mich auf diesem Ausflug auch mit Toby zu befassen. Es war mir einzig und allein darum gegangen, etwas für Theo zu tun, ihn zu verändern, die Dinge zu sagen und zu tun, die die Wunden heilen würden, die ich ihm in jungen Jahren zugefügt hatte.
    Aber natürlich hätte ich es wissen sollen. Wer sonst, wenn nicht ich? Manchmal bricht der Stein eben erst Jahrhunderte nach dem Schlag entzwei.
    Ich rief Toby in seiner Wohnung an – ich wusste, dass er dort arbeitete, er lag in den letzten Zügen mit seinem neuesten Buch. Er hörte den Unterton in meiner Stimme und fragte sofort:
    Â»Was ist los?« Er klang steif und misstrauisch.
    Â»Ã„hm, nichts, wirklich nicht. Theo und ich wollten bloß fragen, ob du heute Abend vielleicht eine Runde Poker mit uns spielen möchtest?«
    Kurze Pause. »Soll das ein Witz sein?«
    Ich blinzelte. Theo lächelte, das machte mir Mut. Dann gestikulierte er, als würde er essen. »Und … ich glaube, Theo möchte, dass wir uns irgendwo was zu essen holen.« Theo machte eine Kung-Fu-Bewegung. »Was Asiatisches.«
    Â»Margot.« Toby klang hart und ungeduldig. »Ich dachte, wir hätten uns darauf geeinigt, dass du einen Monat in eine Entzugsklinik gehst. Oder hast du auch dieses Versprechen gebrochen?«
    Die Wut in seiner Stimme brachte mich aus dem Konzept. Ich zögerte. Gaia, dachte ich. Bitte sorg dafür, dass er mir eine Chance gibt. Nur eine. Dieses eine Mal.
    Â»Toby«, sagte ich leise. »Es tut mir leid. Es tut mir leid.«
    Ich sah, wie sich Theos Miene vor unbändiger Freude schlagartig veränderte – sie schmolz dahin. Am anderen Ende der Leitung hörte ich Toby immer langsamer atmen. Ich konnte mir vorstellen, was ihm alles durch den Kopf ging – Ist sie high? Schwanger? Todkrank? –, bis er zu dem Schluss kam, dass ich es ernst meinte.
    Â»Hör zu, Margot«, sagte er, doch da fiel ich ihm ins Wort.
    Â»In die Klinik gehe ich nächste Woche, Toby, ich geb dir mein Wort. Ich verspreche es. Nächste Woche verschwinde ich, um clean zu werden.« Ich lachte. »Und jetzt komm her, bevor Theo und ich ohne dich anfangen zu zocken!«
    So kam es, dass ich zum ersten Mal seit über dreißig Jahren mit meinem Sohn und meinem Mann zusammensaß und Poker spielte – ein Spiel, das ich so lange nicht gespielt hatte, dass die beiden den Großteil der Zeit damit verbrachten, mir die Regeln neu beizubringen, mir den Sinn des Spiels wie einer Zweijährigen zu erklären und sich königlich darüber zu amüsieren, wie doof ich geworden war. Und ich aß chinesisches Essen – mit einer Gabel statt mit Stäbchen, was zu mehr Erheiterung führte –, und dann tat ich alles, aber auch alles, um Theo zum Lachen zu bringen, um seiner Stimme einen federleichten, sorgenfreien Klang zu geben, und ich fing Gespräche an über Themen, von denen ich wusste, dass sie ihn interessierten. Die Adern an seinen Schläfen schwollen an vor freudiger Erregung, als es um den neuen Spielberg-Film ging. Er erklärte, dass er auch Schauspieler werden wollte. Toby sah wie beim Tennis von einem zum anderen, hielt dabei die Karten hoch wie ein Pfauenrad, lächelte und dachte sich seinen Teil.
    Als es zehn Uhr war und Theos kleiner Körper kurz davor war, wie eine Tüte Popcorn vor Aufregung zu platzen, brachte Toby ihn ins Bett. Wenige Minuten später kam er wieder nach unten. Er nahm seinen Mantel vom Sessel,

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