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Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht

Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht

Titel: Tagebuch Eines Vampirs 01. Im Zwielicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa J. Smith
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würde allen was zu denken geben. Ohne zu dem Quittenbaum zurückzusehen, ging sie schnell die Straße entlang.
    Die Krähe flog in die Spitze einer Eiche. Das Laub raschelte heftig, und Stefans Kopf fuhr hoch. Als er erkannte, daß es nur ein Vogel war, entspannte er sich. Sein Blick fiel auf das leblose weiße Geschöpf in seinen Händen, und er fühlte tiefes Bedauern. Er hatte es nicht töten wollen. Er hätte etwas Größeres als ein Kaninchen gejagt, wenn er geahnt hätte, wie hungrig er war. Aber genau das war der Punkt, der ihm angst machte: nie das Ausmaß des Hungers zu kennen oder vorher zu wissen, was er tun mußte, um ihn zu stillen. Er hatte Glück gehabt, daß er diesmal nur ein Kaninchen erwischt hatte.
    Er stand neben der alten Eiche. Seine schwarzen Locken glänzten in der Sonne. In Jeans und T-Shirt unterschied sich Stefan Salvatore kein bißchen von jedem anderen normalen Oberstufenschüler. Und doch war er anders. Hierher, tief in den Wald, wo niemand ihn sehen konnte, war er gekommen, um Nahrung zu finden. Jetzt leckte er sich sorgfältig die Lippen, um sicherzugehen, daß sich kein Blut mehr auf ihnen befand. Er wollte kein Risiko eingehen. Die Maskerade würde auch so schon schwer genug durchzuhalten sein.
    Einen Moment überlegte er, ob er nicht doch alles rückgängig machen sollte. Vielleicht war es besser, nach Italien zurückzugehen, dorthin, wo sein Versteck war. Was hatte ihn dazu getrieben, ernsthaft zu glauben, er könne einfach so in die Welt des Tageslichts zurückkehren? Aber er hatte es satt, in den Schatten zu leben. Er haßte die Dunkelheit und die Wesen, die sich in ihr verbargen. Und vor allem wollte er nicht mehr allein sein.
    Er war sich nicht sicher, warum er Fell's Church in Virginia gewählt hatte. Für seine Verhältnisse war es eine relativ junge Stadt. Die ältesten Gebäude waren erst vor anderthalb Jahrhunderten errichtet worden. Aber die Stadt pflegte noch die Erinnerungen an die Geister und Legenden des Bürgerkriegs. Sie gehörten zum täglichen Alltag wie die Supermärkte und Hamburgerbuden. Stefan gefiel dieser Respekt vor der Vergangenheit. Er glaubte, daß er die Leute von Fell's Church mögen würde. Und wer weiß, vielleicht würde er sogar einen Platz unter ihnen finden.

    Natürlich würde er nie voll akzeptiert werden. Ein bitteres Lächeln spielte um seine Lippen. Nein, das wußte er besser. Es würde nie einen Ort geben, an den er voll und ganz gehörte.
    Einen Ort, an dem er wirklich er selbst sein konnte. Es sei denn, er wählte wieder die Dunkelheit. Stefan schüttele heftig den Kopf und vertrieb den Gedanken. Er hatte sich von den Schatten losgesagt und sie hinter sich gelassen. All diese Jahre würde er auslöschen und heute ganz neu beginnen.
    Es fiel ihm auf, daß er immer noch das Kaninchen in der Hand hielt. Sanft legte er es auf ein Bett aus braunen Eichenblättern.
    In weiter Ferne, für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar, hörte er einen Fuchs. Komm, Jagdgefährte, dachte er. Dein Frühstück wartet. Als er die Jacke über die Schulter warf, bemerkte er die Krähe, die ihn vorhin gestört hatte. Sie saß immer noch in der Eiche und schien ihn zu beobachten. Irgend etwas stimmte da nicht.
    Stefan war versucht, seine Gedanken auszusenden, um den Vogel zu testen. Doch im letzten Moment hielt er sich zurück.
    Denk an deinen Vorsatz, ermahnte er sich. Er wollte seine außergewöhnliche Gabe nur benutzen, wenn es unbedingt nötig war. Wenn er keine andere Wahl mehr hatte. Lautlos bewegte er sich über totes Laub und trockene Zweige zum Waldrand hin. Dort war sein Auto geparkt. Er warf einen Blick zurück und sah, daß die Krähe den Baum verlassen hatte und sich auf das Kaninchen stürzte.
    Etwas Düsteres lag in der Art, wie der Vogel seine Flügel über den leblosen, weißen Körper spreizte. Etwas Düsteres und gleichzeitig Triumphierendes. Stefans Kehle war plötzlich wie zugeschnürt. Fast wäre er zurückgegangen und hätte den Vogel vertrieben. Doch die Krähe hat das gleiche Recht auf Nahrung wie der Fuchs, sagte er sich. Und das gleiche Recht wie er selbst.
    Wenn er dem Vogel irgendwann wiederbegegnen würde, würde er versuchen, sein wahres Wesen zu ergründen. Jetzt jedoch riß er seinen Blick los und rannte mit festen Schritten durch den Wald. Er wollte nicht zu spät in der Robert E. Lee High School ankommen.

2. KAPITEL
    Kaum hatte Elena den Parkplatz der High School betreten, stand sie schon im Mittelpunkt des Interesses. Alle

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