Tagebuch Eines Vampirs 02. Bei Dämmerung
ab oder so...“ Doch Meredith's Stimme klang wenig überzeugend. Sie alle kennen die Wahrheit, dachte Elena. Und die bedeutet, daß es hoffnungslos ist. Sie hatten verloren. Bonnie schaute in den Rückspiegel und drehte sich auf dem Sitz um. „Da kommt dein Gefährt.“ Elena sah hin. Zwei weiße Pferde zogen eine neu aufgemachte kleine Kutsche die Straße hinunter. Cêpepapier war durch die Speichen der Räder geschlungen, Farne dekorierten die Sitze, und ein großes Banner auf der Seite verkündete: „Der Gründergeist von Fell's Church“. Elena blieb nur noch Zeit für eine verzweifelte Botschaft: „Beobachtet sie.
Und wenn sie je einen Moment allein sein sollte...“ Dann mußte sie gehen. Aber den ganzen schrecklichen Morgen lang war Caroline keinen Moment allein. Immer war sie von einer Menge Zuschauer umringt. Für Elena bedeutete die Parade die reinste Folter. Sie saß in der Kutsche neben dem Bürgermeister und seiner Frau und versuchte, normal auszusehen und freundlich zu lächeln. Doch die düstere Drohung lastete wie ein Mühlstein auf ihrer Brust. Irgendwo vor ihr, zwischen den marschierenden Bands, den festlichen Umzugsteilnehmern und anderen offenen Fahrzeugen, war Caroline. Elena hatte vergessen nachzusehen, auf welchem Wagenzug sie mitfuhr.
Es war auch ohne Bedeutung. Egal, wo Caroline sich befand, die halbe Stadt konnte sie sehen. Das Essen, das dem Umzug folgte, fand in der Cafeteria der Schule statt. Elena saß bei Bürgermeister Dawley und seiner Frau, Caroline gleich am Nebentisch. Elena konnte ihr glänzendes, kastanienbraunes Haar von hinten sehen. An ihrer Seite war Tyler Smallwood und lehnte sich immer wieder besitzergreifend über sie. Elena hatte den perfekten Platz, um Zeugin des kleinen Dramas zu werden, das sich während des Essens abspielte. Ihr Herz klopfte heftig, als sie Stefan entdeckte, der wie zufällig an Carolines Tisch vorbeiging. Er sprach Caroline an. Elena vergaß sogar, zum Schein mit dem unberührten Essen auf ihrem Teller zu spielen. Was als nächstes passierte, ließ ihre Hoffnung sinken. Caroline warf ihr Haar zurück, antwortete ihm kurz und
wandte sich wieder ihrem Essen zu. Tyler, hochrot im Gesicht, sprang auf und machte eine ärgerliche Geste. Er setzte sich erst wieder, als Stefan sich zum Gehen wandte. Stefan sah Elena an. Ihre Blicke verständigten sich wortlos.
Es gab also nichts, was er tun konnte. Selbst, wenn seine übernatürlichen Kräftezurückgekehrt sein sollten, würde Tyler ihn von Caroline fernhalten. Der Mühlstein auf Elenas Brust wurde so schwer, daß er ihr fast den Atem nahm.
Danach saß sie einfach da und ließ die Ereignisse wie betäubt an sich vorüberziehen, bis jemand sie anstieß und ihr sagte, daß es Zeit wurde, hinter die Bühne zu gehen. Bürgermeister Dawley hielt eine geschwollene Rede, Matt bekam eine Auszeichnung als „Sportler des Jahres“ und blickte Elena besorgt an, als er auf die Bühne trat, um sie entgegenzunehmen.
Elena beobachtete alles wie ein Besucher von einem anderen Stern. Verzweiflung und die Gewißheit, daß die Sache verloren war, machten sie blind und taub für alles andere. Seit letzter Nacht hatte sie sich schwindlig und schwach gefühlt, fast, als würde sie eine Grippe bekommen. Sie konnte nicht mehr denken. Ihr Verstand, normalerweise voller Pläne und Überlegungen, war wie leergefegt. Und sie war an einem Punkt angelangt, wo es ihr egal war. Elena hatte einfach keine Kraft mehr,
weiterzukämpfen. Schließlich kam der Höhepunkt. Unter donnerndem Applaus trat Elena mit John Clifford auf die Bühne, der den „Geist der Unabhängigkeit“ verkörperte. An seiner anderen Seite stand Caroline. Wie unbeteiligt stellte Elena fest, daß Caroline sehr gut aussah. Ihr Kopf war leicht zurückgeworfen, die Augen strahlten, und ihre Wangen waren leicht gerötet. John war als erster an der Reihe. Er richtete seine Brille, dann das Mikrophon, bevor er aus einem schweren, braunen Buch vorlas. Während des ganzen Vortrags stahl Caroline ihm die Show. Sie lächelte das Publikum an, warf ihr Haar zurück, spielte mit dem Beutel, der an ihrer Taille hing. Ihre Finger streichelten ihn liebevoll. Elena ertappte sich dabei, daß sie die kleine Handtasche wie betäubt anstarrte, als wollte sie sich jede einzelne Perle einprägen. John verneigte sich und nahm wieder seinen Platz neben Elena ein. Caroline straffte die Schultern und schritt graziös wie ein Mannequin nach vorn. Diesmal mischten sich bewundernde
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