Tagebuch Eines Vampirs 02. Bei Dämmerung
drüberziehen.“ Die Bibliothekarin deutete auf das rosenholzfarbene Kleidungsstück, das über einem Stuhl lag.
Elena warf Caroline einen heimlichen Blick zu, während sie begann, sich umzuziehen. Ja, da war der Beutel. Er lag zu Carolines Füßen. Sie überlegte, ob sie danach greifen sollte, doch Mrs. Grimesby befand sich immer noch im Raum.
Das Musselinkleid war ganz einfach geschnitten. Das fließende Material wurde hoch unter dem Busen von einem hellrosa Gürtel gehalten. Die leicht gepufften, ellbogenlangen Ärmel waren mit Bändern von gleicher Farbe zusammengebunden.
Die Mode im frühen neunzehnten Jahrhundert war lose genug gearbeitet, um auch einem Mädchen des zwanzigsten Jahrhunderts zu passen. Zumindest, wenn es schlank war.
Elena lächelte, als Mrs. Grimesby ihr den Spiegel hinhielt.
„Hat das wirklich Honoria Fell gehört?“ fragte sie und dachte an die Marmorstatue dieser Frau auf dem Grab in der Kirchenruine. „Der Überlieferung nach ja“, antwortete Mrs.
Grimesby. „Sie hat es in ihrem Tagebuch erwähnt, deshalb können wir ziemlich sicher sein.“
„Sie hat ein Tagebuch geführt?“ Elena war überrascht. „Oh, ja.
Ich bewahre es in einem Bücherfach im Wohnzimmer auf und kann es dir gern später auf dem Weg nach draußen zeigen. Wie steht's nun mit dem Jäckchen? Was ist denn das?“ Etwas Violettes war auf den Boden geflattert, als Elena die Jacke hochgenommen hatte. Sie konnte fühlen, wie sie erstarrte.
Bevor Mrs. Grimesby einen Blick darauf werfen konnte, hob sie den
Papierschnipsel schnell auf. Nur ein Satz. Sie konnte sich daran erinnern, ihn am 4. September geschrieben zu haben, ihrem ersten Schultag. Der einzige Unterschied bestand darin, daß sie ihn hinterher wieder durchgestrichen hatte, was jetzt nicht der Fall war. Die Buchstaben hoben sich groß und kräftig von ihrem Hintergrund ab. Etwas Schreckliches wird heute passieren. Elena konnte sich kaum zurückhalten. Am liebsten wäre sie zu Caroline gerannt und hätte ihr den Papierfetzen ins Gesicht geschmissen. Doch das hätte alles verdorben. Sie zwang sich, ruhig zu bleiben, während sie die Notiz in den Händen zerknüllte und in den Papierkorb warf. „Ach, das war nichts weiter.“ Sie drehte sich wieder zu Mrs. Grimesby um.
Caroline sagte nichts, doch Elena konnte den triumphierenden Blick ihrer grünen Augen auf sich spüren. Warte nur ab, dachte sie. Warte, bis ich mein Tagebuch zurückhabe. Ich werde es verbrennen, und dann werden du und ich mal ein Wörtchen miteinander reden. Zu Mrs. Grimesby meinte sie nur: „Ich bin fertig.“ „Ich auch“, meldete sich Caroline gespielt bescheiden.
Elena betrachtete das andere Mädchen kühl und unbeteiligt.
Carolines hellgrünes Kleid mit den langen grünen und weißen Schärpen war nicht annähernd so schön wie ihr eigenes.
„Gut. Ihr Mädchen geht schon einmal vor und wartet auf eure Fahrzeuge. Oh, und Caroline, vergiß dein Täschchen nicht.“ „Keine Sorge.“ Caroline lächelte und griff nach dem Beutel zu ihren Füßen.
Zum Glück konnte sie Elenas Gesicht nicht sehen, denn für einen Moment ließ Elena die Maske fallen. Wie betäubt sah sie zu, wie Caroline den Beutel an ihre Taille band.
Ihre Verwunderung entging Mrs. Grimesby nicht. „Das ist ein Ridikül, der Vorgänger unserer modernen Handtasche“, erklärte sie freundlich. „Die Damen benutzten sie, um ihre Handschuhe und Fächer darin aufzubewahren. Caroline hat es sich schon vor ein paar Tagen geholt, um ein paar lose Perlenstränge daran zu reparieren... Das war sehr aufmerksam von ihr.“
„Sicher“, stieß Elena gepreßt hervor. Sie mußte raus hier, sonst würde jeden Moment etwas Schreckliches passieren. Sie hatte große Lust zu schreien, Caroline niederzuschlagen oder zu explodieren. „Ich brauche frische Luft“, erklärte sie und rannte aus dem Zimmer nach draußen.
Bonnie und Meredith warteten in Meredith' Auto. Elenas Herz klopfte heftig, als sie hinging und sich ins Fenster lehnte. „Sie hat uns reingelegt“, sagte sie leise. „Der Beutel gehört zu ihrem Kostüm, und sie wird ihn den
ganzen Tag bei sich tragen.“ Bonnie und Meredith starrten erst sie und dann einander an. „Aber.. was sollen wir jetzt tun?“, fragte Bonnie schließlich. „Ich weiß es nicht.“ Mit entsetzlicher Klarheit dämmerte Elena schließlich die Ausweglosigkeit der Lage. „Ich weiß es einfach nicht!“ „Wir können sie trotzdem beobachten. Vielleicht legt sie den Beutel beim Essen
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