Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
konnte sie auf die Szene unter sich blicken. Die Baummenschen waren zu langsam, um mit ihr mitzuhalten. Der Plan hatte perfekt funktioniert, nur dass ausgerechnet Damon vergessen hatte, was er tun sollte. Weit davon entfernt, seine Position wieder einzunehmen, hatte er Shinichi und Misao auf wundersame Weise getäuscht - und Elena ebenfalls. Aber jetzt sollte er sich ihrem Plan gemäß um all jene unschuldigen Menschen hier kümmern und es Elena überlassen, Shinichi wegzulocken.
Stattdessen schien irgendetwas in ihm gerissen zu sein und er schlug methodisch Shinichis menschenförmigen Kopf gegen die Hauswand, wobei er schrie: »Du verdammter ... Mistkerl! Wo ... ist... mein ... Bruder?«
»Ich - könnte dich - auf der Stelle - töten ...«, schrie Shinichi zurück, aber er war hörbar atemlos. Er fand in Damon keinen leichten Widersacher.
»Tu es!«, gab Damon unverzüglich zurück. »Und dann wird sie« - er deutete auf Elena - »deiner Schwester die Kehle aufschlitzen!«
Shinichis Verachtung war sengend heiß.
»Du erwartest von mir zu glauben, dass ein Mädchen mit einer solchen Aura töten wird ...«
Es kommt eine Zeit, da man für seinen Standpunkt eintreten muss. Und für Elena, flammend vor Trotz und der Glorie ihrer Flügel, war diese Zeit jetzt gekommen. Sie holte tief Luft, bat das Universum um Vergebung, beugte sich vor und brachte die Heckenschere in Position. Dann drückte sie so fest zu, wie sie konnte.
Ein mit einer roten Spitze versehener, schwarzer Fuchsschwanz fiel kreiselnd zu Boden und Misao kreischte vor Schmerz und Zorn. Während der Schwanz hinabfiel, krümmte er sich in der Luft, und als er mitten auf der Lichtung zu liegen kam, wand er sich wie eine Schlange, die noch nicht ganz besiegt war. Dann wurde er durchsichtig und verschwand.
Das war der Moment, in dem Shinichi schrie: »Weißt du, was du getan hast, du ignorantes Miststück? Ich werde dieses Haus auf dich niederstürzen lassen! Ich werde dich in Stücke reißen!«
»O ja, natürlich wirst du das tun. Aber zuerst«, Damon sprach jedes einzelne Wort sehr bedächtig aus, »musst du an mir vorbeikommen.«
Elena nahm die Worte der beiden kaum zur Kenntnis. Es war nicht leicht für sie gewesen, diese Schere zusammenzudrücken. Es hatte bedeutet, dass sie an Meredith mit der Schere in den Händen denken musste und an Bonnie auf dem Altar und an Matt, der sich erst vor kurzer Zeit auf dem Boden gewunden hatte.
Und an Mrs Flowers und die drei verlorenen kleinen Mädchen und Isobel und -
sehr intensiv - an Stefano.
Aber da sie zum ersten Mal in ihrem Leben eigenhändig jemand anderen schwer verletzt hatte, verspürte sie ein jähes, seltsames Gefühl der Verantwortung. Als hätte ein eisiger Wind ihr das Haar zurückgeweht und in ihr erstarrtes Gesicht gerufen: niemals ohne Grund. Niemals ohne Notwendigkeit. Niemals, solange eine andere Lösung möglich ist.
Plötzlich spürte Elena, wie etwas in ihr erwachsen wurde. Zu schnell, um der Kindheit Lebewohl zu sagen, war sie zur Kriegerin geworden.
»Ihr habt alle gedacht, ich könne nicht kämpfen«, rief sie zu der Gruppe hinunter. »Ihr habt euch geirrt. Ihr dachtet, ich sei machtlos. Auch da habt ihr euch geirrt. Und ich werde den letzten Tropfen meiner Macht in diesem Kampf einsetzen, denn ihr Zwillinge seid echte Ungeheuer. Nein, ihr seid - das Grauen.
Und falls ich sterbe, werde ich bei Honoria Fell ruhen und ich werde wieder über Fell's Church wachen.«
Fell's Church wird verrotten und sich in Maden winden und sterben, erklang eine Stimme in der Nähe ihres Ohres. Es war eine tiefe Bassstimme, ganz anders als Misaos schrilles Schreien. Noch während Elena sich umdrehte, wusste sie, dass es die weiße Kiefer war. Ein harter, schuppiger Ast, beladen mit diesen scharfen, harzklebrigen Nadeln, krachte gegen ihre Taille und kostete sie das Gleichgewicht
- sodass sie unwillkürlich die Hände öffnete. Misao entfloh prompt und krallte sich in die weihnachtsbaumähnlichen Äste.
»Böse ... Bäume ... fahrt... zur ... Hölle«, rief Elena und bohrte mit der ganzen Kraft ihres Körpers die Schere in ihrer Hand in den unteren Teil des Astes, der sie zu erdrücken drohte. Der Baum versuchte, sich zurückzuziehen, und sie drehte die Schere in der verwundeten, dunklen Borke und sah erleichtert, dass ein großes Stück herausfiel und nur ein langer Faden von Harz zurückblieb, der zeigte, wo es mit dem Baum verwachsen gewesen war.
Dann hielt sie Ausschau nach Misao. Es fiel der
Weitere Kostenlose Bücher