Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
mitansehen müssen, wie Meredith sich die eigene Zunge in Stücke schnitt.
Gerade als sie spürte, dass sich ein letzter Zornesschrei in ihr aufbaute wie eine Schlange, die sich einen Pfosten hinaufwand, sah sie Elena hoch über sich in einer weißen Kiefer.
»Flügel des Windes«, wisperte Elena, als der Boden in hohem Tempo auf sie zugerast kam.
Die Flügel entfalteten sich sofort irgendwo an Elenas Körper. Sie waren nicht real, aber ihre Spanne maß etwa zwölf Meter, und sie waren aus goldenen Sommerfäden gewoben, mit Farben von tiefstem Bernstein an ihrem Rücken bis hin zu ätherischem, hellem Zitronengelb an den Spitzen. Sie waren fast reglos und hoben und senkten sich kaum, aber sie hielten Elena aufrecht; der Wind schoss unter ihnen hindurch, und sie brachten sie genau dorthin, wo sie hinmusste.
Nicht zu Bonnie. Das war es, was sie alle erwarten würden. Von ihrer Höhe aus war sie zwar vielleicht gerade eben imstande, Bonnie zu befreien, aber sie hatte keine Ahnung, wie sie Bonnies Fesseln durchschneiden sollte oder ob sie anschließend wieder abheben konnte.
Stattdessen hielt Elena im letzten Moment auf die Dachterrasse zu, riss Meredith die Heckenschere aus der erhobenen Hand und ergriff dann eine Strähne langen, seidigen, schwarzen und scharlachroten Haares. Misao kreischte. Und dann ...
Das war der Moment, in dem Elena wirklich ein wenig Glauben brauchte. Bisher war sie einfach geschwebt, nicht geflogen. Aber jetzt brauchte sie Aufwinde; sie brauchte Flügel, die funktionierten ... Und einmal mehr war sie, obwohl keine Zeit war, bei Stefano und fühlte ...
... den ersten Kuss, den sie ihm gegeben hatte. Andere Mädchen hätten vielleicht gewartet, bis er den ersten Schritt tat, sie hätten dem Jungen die Führung überlassen, aber nicht so Elena. Außerdem hatte Stefano zuerst gedacht, dass ein Kuss lediglich die Verführung der Beute bedeutete ...
... den ersten Kuss, den er ihr gegeben hatte, in dem Begreifen, dass es keine raubtierartige Beziehung war ...
Und jetzt musste sie wirklich fliegen ...
Ich weiß, dass ich es kann ...
Aber Misao war einfach so schwer - und Elenas Gedächtnis geriet ins Wanken.
Die großen, goldenen Flügel zitterten und regten sich nicht mehr. Shinichi versuchte, an einer Schlingpflanze hinaufzuklettern, um an sie heranzukommen, und Damon hielt Meredith so fest gepackt, dass sie sich nicht rühren konnte.
Zu spät begriff Elena, dass es nicht funktionieren würde.
Sie war allein, und sie konnte auf diese Weise nicht kämpfen. Nicht gegen so viele Personen.
Sie war allein, und ein Schmerz, der in ihr den Wunsch weckte aufzukreischen, schoss durch ihren Rücken. Misao machte sich noch schwerer, und in einer Minute würde sie zu schwer sein, als dass Elena sich mit ihren zitternden Flügeln hätte in der Luft halten können.
Sie war allein, und wie der Rest der Menschen hier würde sie sterben ...
Und dann hörte sie, durch die Qual, die ihr am ganzen Körper feine Schweißperlen auf die Haut trieb, Stefanos Stimme.
»Elena! Lass los! Lass dich fallen und ich werde dich auffangen!«
Wie seltsam, dachte Elena wie in einem Traum. Seine Liebe und seine Panik hatten irgendwie seine Stimme verzerrt - ließen ihn anders klingen. Ließen ihn beinahe so klingen wie ...
»Elena! Ich bin bei dir!«
... wie Damon.
Aus ihrem Traum herausgerissen, schaute Elena unter sich. Und dort war Damon, der beschützend vor Meredith stand und zu ihr mit ausgestreckten Armen aufblickte. Er war bei ihr.
»Meredith«, fuhr er fort, »Mädchen, jetzt ist keine Zeit zu schlafwandeln! Deine Freundin braucht dich! Elena braucht dich!«
Langsam und dumpf schaute Meredith himmelwärts. Und Elena sah, wie das Leben in ihre Augen zurückkehrte, während sie sich auf das Zittern der großen, goldenen Flügel konzentrierte.
»Elena!«, rief sie. »Ich bin bei dir! Elena!«
Woher wusste sie, dass sie das sagen musste? Die Antwort war - es war Meredith. Und Meredith wusste immer, was sie sagen musste.
Jetzt fiel eine andere Stimme in den Ruf ein: die von Matt.
»Elena!«, rief er und es war beinahe ein Jubelschrei. »Ich bin bei dir, Elena!«
Und Dr. Alperts tiefe Stimme: »Elena! Ich bin bei Ihnen, Elena!«
Und Mrs Flowers, überraschend kräftig: »Elena! Ich bin bei dir, Elena!«
Und selbst die arme Bonnie: »Elena! Wir sind bei dir, Elena!«
Während tief in ihrem Herzen der echte Stefano wisperte: »Ich bin bei dir, mein Engel.«
»Wir sind alle bei dir, Elena!«
Sie
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