Tagebuch Eines Vampirs 05. Rückkehr Bei Nacht
ließ Misao nicht fallen. Es war, als hätten die großen, goldenen Flügel einen Aufwind bekommen; tatsächlich hoben sie sie beinahe schnurgerade in die Höhe, ohne dass sie die Kontrolle darüber hatte - aber irgendwie gelang es ihr, das Gleichgewicht zu halten. Sie blickte noch immer hinab und sah die Tränen aus ihren Augen quellen und auf Damons ausgestreckte Arme fallen. Elena wusste nicht, warum sie weinte, aber einer der Gründe war ihr Kummer darüber, dass sie jemals an ihm gezweifelt hatte.
Denn Damon war nicht nur auf ihrer Seite. Wenn sie nicht stark genug war, war er bereit, für sie zu sterben - er forderte um ihretwillen den Tod heraus. Er warf sich in die Schlingpflanzen und Ranken, die allesamt nach Meredith und Elena griffen.
Es hatte nur eine Sekunde gedauert, Misao zu packen, aber Shinichi sprang bereits in Fuchsgestalt und mit gefletschten Zähnen auf Elena zu, in der Absicht, ihr die Kehle herauszureißen. Dies waren keine gewöhnlichen Füchse. Shinichi war beinahe so groß wie ein Wolf - mit Sicherheit hatte er die Größe eines eindrucksvollen Hundes - und so Furcht einflößend wie ein Vielfraß.
In der Zwischenzeit hatte sich die ganze Dachterrasse in ein Labyrinth aus Schlingpflanzen und faserigen Ranken verwandelt, und Shinichi wurde von ihnen hochgehoben. Elena wusste nicht, in welche Richtung sie ausweichen sollte. Sie brauchte Zeit und sie brauchte eine Möglichkeit, sich vor Shinichi in Sicherheit zu bringen.
Caroline tat nichts anderes, als zu schreien.
Und dann sah Elena ihre Bresche. Eine Lücke in den Schlingpflanzen, auf die sie sich stürzte, wobei ihr unterbewusst klar war, dass sie sich damit auch über das Geländer stürzte. Irgendwie gelang es ihr jedoch, Misao an den Haaren festzuhalten. Für den weiblichen Kitsune musste es wirklich eine extrem schmerzhafte Erfahrung sein, da sie unter Elena wie ein Pendel hin und her schwang.
Der einzige Blick, den Elena über ihre Schulter werfen konnte, zeigte ihr Damon, der sich immer noch schneller bewegte als alles, was Elena je gesehen hatte. Er hielt jetzt Meredith in den Armen und schob sie hastig durch eine Lücke, die zu der Kuppeltür führte. Sobald sie hindurchtrat, stand sie auch schon auf dem Boden und rannte auf den Altar zu, auf dem Bonnie lag, nur um gegen einen der Baummenschen zu krachen. Während Damon zu Elena hinüberschaute, trafen sich ihre Blicke für einen Moment, und so etwas wie Elektrizität ging zwischen ihnen hin und her. Elena überlief ein prickelnder Schauer.
Dann konzentrierte sie sich wieder: Caroline hatte von Neuem zu schreien begonnen; Misao benutzte ihre Peitsche, um Elenas Bein zu fassen zu bekommen, und rief den Baummenschen zu, dass sie sie fangen sollten. Elena musste höher hinauffliegen. Sie hatte keine Ahnung, wie sie ihre goldenen Flügel aus Sommerfäden kontrollierte, aber sie gehorchten ihrem leisesten Wink, als hätte sie diese Flügel schon immer besessen. Der große Trick dabei war, nicht darüber nachzudenken, wie sie irgendwohin gelangen sollte, sondern sich einfach vorzustellen, dass sie dort war.
Auf der anderen Seite hatten die Baummenschen zu wachsen begonnen. Es war wie in einem kindlichen Albtraum, der von Riesen handelte, und zuerst hatte Elena das Gefühl, dass sie es war, die schrumpfte. Aber die grauenvollen Kreaturen überragten jetzt tatsächlich das Haus und ihre oberen, schlangenähnlichen Aste prallten gegen Elenas Beine, während Misao mit ihrer Peitsche nach ihr schlug.
Elenas Jeans hingen inzwischen in Fetzen. Sie unterdrückte einen Schmerzensschrei.
Ich muss höher hinauffliegen.
Ich kann es schaffen.
Ich werde euch alle retten.
Ich glaube.
Schneller als ein Kolibri huschte sie wieder in die klare Luft hinauf, wobei sie Misao immer noch an ihren schwarzroten Haaren festhielt. Und Misao schrie und in ihre Schreie fiel Shinichi ein, noch während er gegen Damon kämpfte.
Und dann, geradeso wie sie und Damon es geplant hatten, so wie sie und Damon es gehofft hatten, nahm Misao ihre wahre Gestalt an und Elena hielt eine große, schwere, sich windende Füchsin am Nackenfell.
Es folgte ein schwieriger Moment, in dem Elena sich ausbalancieren musste. Sie musste daran denken, dass das Gewicht Misaos am Hinterleib größer war als vorn, weil sie sechs Schwänze hatte und deshalb dort, wo ein richtiger Fuchs am leichtesten gewesen wäre, am schwersten war.
Aber dann hatte sie es geschafft, zu ihrem Ausguck im Baum zurückzukehren.
Und als sie dort war,
Weitere Kostenlose Bücher