Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
den Rücken strich. »Wenn ich mit dir käme, würde das den
Abschied hinterher nur noch schlimmer machen, weil ich sicher nicht
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mehr gehen wollte. So ist es besser. Du wirst die ersten Wochen im Col-
lege wie alle anderen neuen Studenten genießen, ohne dass dich irgendje-
mand aufhält. Und dann werde ich dich schon bald besuchen kommen.«
Meredith drehte sich um und sah, dass sich Alarics Mund kaum merk-
lich verkrampfte, und ihr wurde klar, dass ihm dieser erneute Abschied
nach nur wenigen gemeinsamen Wochen genauso schwerfiel wie ihr. Sie
beugte sich vor und küsste ihn sanft.
»Besser, als wenn ich nach Harvard gegangen wäre«, murmelte sie.
»Dalcrest ist viel näher.«
Ende des Sommers hatten sie und Matt beschlossen, dass sie ihre Fre-
unde unmöglich verlassen und an weit entfernte Colleges gehen konnten,
wie eigentlich geplant. Nach allem, was sie zusammen durchgemacht hat-
ten, mussten sie unbedingt zusammenbleiben und einander beschützen.
Das war wichtiger als irgendein ruhmreiches College.
Ihr Zuhause war mehr als einmal beinahe zerstört worden, sodass an
Fortgehen nicht mehr zu denken war. Nicht, solange sie die Einzigen war-
en, die der Dunkelheit Widerstand leisten konnten, der Dunkelheit, die
sich für immer und ewig zu der Kraft der magischen Machtlinien hingezo-
gen fühlen würde, welche durch das Gebiet rund um Fell’s Church liefen.
Dalcrest lag so nah, dass sie zurückkommen konnten, falls erneut Gefahr
drohte.
Sie mussten ihr Zuhause beschützen.
Also war Stefano in die Verwaltungsbüros von Dalcrest gegangen und
hatte seinen Vampir-Charme spielen lassen. Und plötzlich hatte Matt das
Footballstipendium für Dalcrest in der Tasche, welches er im Frühling zu-
gunsten der Kent State abgelehnt hatte, und Meredith wurde nicht nur als
Studienanfängerin begrüßt, sondern sogar im besten Wohnheim des
Campus zusammen mit Bonnie und Elena in einem Dreierzimmer un-
tergebracht. Das Übernatürliche hatte zur Abwechslung mal zu ihren
Gunsten funktioniert.
Trotzdem hatte sie einige Träume aufgeben müssen. Harvard. Alaric an
ihrer Seite.
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Meredith schüttelte den Kopf. Diese Träume waren ohnehin nicht ver-
einbar. Alaric hätte sie auch nicht nach Harvard begleiten können. Er
blieb in Fell’s Church, um den Ursprung all der übernatürlichen Dinge zu
erforschen, die sich im Laufe der Stadtgeschichte ereignet hatten. Glück-
licherweise erlaubte ihm die Duke University, seine Studien für seine
Doktorarbeit über das Paranormale zu verwenden. In gewisser Weise
wachte er über die Stadt, solange er dort war. Also hätten sie sich jetzt so
oder so trennen müssen, ganz gleich, wohin Meredith ging, und immerhin
war Dalcrest von Fell’s Church leicht mit dem Auto zu erreichen.
Alarics Haut war gebräunt, und einige goldene Sommersprossen tüpfel-
ten seine Wangenknochen. Sein Gesicht war ihrem so nah, dass Meredith
die Wärme seines Atems spüren konnte.
»Woran denkst du?« Seine Stimme war ein leises Murmeln.
»An deine Sommersprossen«, antwortete sie. »Sie sind einfach wun-
derschön.« Dann holte sie Luft und zog sich von ihm zurück. »Ich liebe
dich«, fügte sie hinzu, und dann sprach sie hastig weiter, bevor eine Welle
der Sehnsucht sie überwältigen konnte. »Ich muss los.« Sie nahm einen
der Koffer, die neben dem Auto standen, und schwang ihn in den
Kofferraum.
»Ich liebe dich auch«, erwiderte Alaric, griff nach ihrer Hand und hielt
sie für einen Moment fest, während er ihr in die Augen blickte. Dann ließ
er sie los, verstaute den letzten Koffer und schlug die Kofferraumklappe
zu.
Meredith küsste ihn noch einmal flüchtig und setzte sich schnell hinters
Steuer. Sobald sie angeschnallt war und der Motor lief, erlaubte sie sich,
Alaric noch einmal anzusehen.
»Auf Wiedersehen«, sagte sie durch das offene Fenster. »Ich werde
dich heute Abend anrufen. Jeden Abend.«
Alaric nickte. Er sah traurig aus, lächelte trotzdem und hob zum Ab-
schied die Hand.
Vorsichtig setzte Meredith aus der Einfahrt zurück. Sie hielt das Len-
krad fest umklammert, den Blick auf die Straße gerichtet und atmete in
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gleichmäßigen Zügen. Ohne hinzusehen, wusste sie, das Alaric in der Ein-
fahrt stand und ihr nachschaute. Sie presste die Lippen energisch aufein-
ander. Sie war eine Sulez. Sie war eine Vampirjägerin, eine Einserschüler-
in und bewahrte in allen Situationen einen vollkommen klaren Kopf.
Sie
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