Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
und zog die Daumen hoch, um ein Dreieck zu formen –
das geheime Grußzeichen zwischen zwei Jägern.
Samantha starrte sie nur ausdruckslos an. Meredith fragte sich, ob sie
das Zeichen noch richtig in Erinnerung hatte. Und hatte Samanthas Fam-
ilie es ihr überhaupt beigebracht? Meredith wusste zwar, dass es noch
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andere Jäger dort draußen gab, aber sie war noch nie einem begegnet.
Ihre Eltern hatten die Jägergemeinschaft bereits vor ihrer Geburt
verlassen.
Plötzlich bewegte Samantha sich so schnell wie während eines Übung-
skampfes auf sie zu und umfasste ihre Arme.
»Wirklich?«, fragte sie. »Ist das dein Ernst?«
Meredith nickte und Samantha schlang die Arme um sie und drückte
sie fest an sich. Meredith versteifte sich – sie war nicht der gefühlsbetonte
Typ, auch wenn sie schon seit Jahren mit der unbändigen Bonnie befre-
undet war. Doch Samanthas Herz pochte so heftig, dass Meredith es
spüren konnte, und dann überließ sie sich einfach der Umarmung und
fühlte den schlanken, muskulösen Körper der anderen Jägerin, der ihrem
eigenen so ähnlich war.
Ein seltsames Gefühl der Vertrautheit stieg in ihr auf, als ob sie ver-
loren gewesen wäre und jetzt endlich ihre wahre Familie gefunden hatte.
Meredith wusste, dass sie das ihren Freundinnen niemals würde erzählen
können; es fühlte sich an, als würde sie Elena und Bonnie geradezu ver-
raten. Dennoch kam sie nicht gegen dieses seltsame Gefühl an. Samantha
löste sich von ihr, lächelte unter Tränen und wischte sich über Augen und
Nase.
»Ich benehme mich ganz schön blöd«, stellte sie fest. »Aber das hier ist
das Beste, was mir je passiert ist. Gemeinsam können wir dagegen
ankämpfen.« Sie schniefte und sah Meredith mit großen, glänzenden Au-
gen an. »Ich hab das Gefühl, eine neue beste Freundin gefunden zu
haben.«
»Ja«, antwortete Meredith. Sie weinte nicht, sie lächelte nicht. Nach
außen war sie so kühl und beherrscht wie immer, aber im Inneren beju-
belte sie das Gefühl, dass das zu ihrem Glück noch fehlende Puzzlestück
sich gerade eingefügt hatte. »Ja, ich glaube, du hast recht.«
Kapitel Vierzehn
Matt zog unglücklich die Schultern hoch. Er war zu dem erneuten Treffen
der Vitale-Society-Anwärter gekommen, weil er nicht allein in seinem
Zimmer bleiben wollte. Aber jetzt wünschte er, er wäre dortgeblieben. Er
hatte Elena, Meredith und Bonnie gemieden – natürlich war es nicht ihre
Schuld, aber um sie und Matt herum hatte es im vergangenen Jahr so viel
Gewalt gegeben, so viel Tod. Er hatte gedacht, dass es ihm in der Gesell-
schaft anderer Leute vielleicht besser gehen würde, in der Nähe von
Menschen, die nicht wussten, wie viel Dunkelheit es in der Welt gab. Aber
er hatte sich geirrt.
Er fühlte sich wie in einem Vakuum. Während er die anderen Kandid-
aten dabei beobachtete, wie sie aufeinander zugingen und miteinander re-
deten, fühlte er sich meilenweit von ihnen entfernt; alles schien gedämpft
und düster. Und er hatte das Gefühl, sofort in Stücke zu brechen, wenn er
das schützende Vakuum verließ.
Er stand verloren in der Menge, als Chloe neben ihn trat und mit ihrer
kleinen, starken Hand tröstend seinen Arm berührte. Das Vakuum war
durchbrochen und er konnte Chloes Nähe spüren. Er legte seine Hand auf
ihre und drückte sie dankbar.
Das Treffen fand in jenem holzvertäfelten Kellerraum statt, in dem sie
einander das erste Mal begegnet waren. Ethan hatte ihnen versichert,
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dass dieses Geheimversteck nur eins von vielen sei – die anderen standen
jedoch nur Vollmitgliedern zur Verfügung.
Wie Matt inzwischen herausgefunden hatte, gab es mehrere Zugänge zu
diesem unterirdischen Versammlungsraum: Einer führte durch ein altes
Haus gleich außerhalb des Campus – wahrscheinlich war er auf diesem
Weg beim ersten Mal hierher gebracht worden; einer führte durch einen
Schuppen in der Nähe der Sportplätze und ein weiterer durch den Keller
der Bibliothek. Tief unter dem Campus musste der Boden durchsetzt sein
von Tunneln, wenn schon zu einem einzigen Ort so viele geheime Gänge
führten, dachte er, und ein beunruhigendes Bild erschien vor seinem in-
neren Auge: Studenten spazierten auf dem sonnengewärmten Gras umh-
er, während sich einige Zoll unter ihnen endlose, dunkle Tunnel
erstreckten.
Ethan redete und redete, und normalerweise hätte Matt gebannt an
seinen Lippen gehangen. Heute jedoch floss Ethans Stimme beinah
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