Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
Stab leicht in einer Hand balancierte.
Natürlich war es nicht ihr Stab, nicht ihr spezieller Kampfstab. Sie kon-
nte ihr mörderisches Erbstück schließlich nicht in den Trainingsraum
mitnehmen – er war zu offensichtlich als tödliche Waffe zu erkennen.
Aber sie war begeistert gewesen zu hören, dass Samantha mit einem über
ein Meter zwanzig langen Jo-Stab kämpfte und noch einen zweiten Stab
besaß.
Samantha war schnell, klug und wild, eine der besten Trainingspartner-
innen, die sie je gehabt hatte. Während des Kampfes konnte Meredith das
Gefühl der Hilflosigkeit verdrängen, das sie an diesem Morgen in Matts
Zimmer verspürt hatte. Es war herzzerreißend gewesen, Christophers per-
sönliche Sachen zu sehen und zu wissen, dass er niemals wiederkommen
würde. Auf seinem Schreibtisch stand einer dieser komischen Miniatur-
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Zengärten, dessen Sand fein säuberlich gepflegt war. Vielleicht hatte
Christopher noch am Tag zuvor den winzigen Rechen in die Hand genom-
men und den Sand geglättet und jetzt würde er nie wieder irgendetwas
berühren.
Es war ihre Schuld. Meredith umklammerte den Stab und ihre Knöchel
traten weiß hervor. Dieser Tatsache musste sie ins Auge sehen. Wenn sie
schon die Kraft hatte, als Jägerin der Dunkelheit gegen Ungeheuer zu
kämpfen und sie zu töten, dann trug sie auch die entsprechende Verant-
wortung. Alles, was durchkam, jeder, der in ihrem Territorium wütete,
war Meredith’ Versagen geschuldet.
Sie musste härter arbeiten. Härter trainieren, den Campus bewachen,
die Leute beschützen.
»Ist alles okay mit dir?« Samanthas Stimme durchbrach ihre
Gedanken. Meredith schreckte auf und sah, dass Samantha sie mit
großen, ernsten Augen musterte und Meredith’ zusammengebissene
Zähne und geballte Fäuste überrascht wahrnahm.
»Nicht ganz«, erwiderte Meredith etwas verlegen. Sie hatte das Gefühl,
ihre grimmige Entschlossenheit erklären zu müssen. »Ähm … Hast du ge-
hört, was gestern Nacht geschehen ist, dass ein Junge getötet wurde?«
Samantha nickte langsam, ihre Miene war undurchdringlich. »Nun, er
war der Mitbewohner eines wirklich guten Freundes von mir. Und ich war
heute Morgen bei ihm und habe versucht, ihn zu trösten. Es war …
schrecklich.«
Samanthas Gesicht schien sich zu verhärten, und sie setzte sich ruckar-
tig auf. »Hör zu, Meredith«, begann sie, »ich verspreche dir, dass so et-
was nicht wieder geschehen wird. Nicht unter meiner Wache.«
»Unter deiner Wache ?«, fragte Meredith ungläubig, während ihr fast
der Atem stockte.
»Ich trage Verantwortung«, stellte Samantha fest. Sie ließ den Blick auf
ihre Hände sinken. »Ich werde diesen Killer zur Strecke bringen.«
»Das ist eine große Aufgabe«, erwiderte Meredith, und ihre Gedanken
überschlugen sich. Konnte das möglich sein …? Aber Samantha war eine
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so gute Kämpferin … Warum sollte sie sonst denken, dass sie die Verant-
wortung trug? »Was bringt dich denn auf die Idee, dass du das tun
kannst?«, fragte sie vorsichtig.
»Ich weiß, es ist schwer zu glauben, und ich sollte dir auch gar nicht
davon erzählen, aber ich brauche deine Hilfe.« Samantha sah ihr todernst
in die Augen. »Ich bin eine Jägerin. Ich wurde dazu erzogen … ich habe
eine verantwortungsvolle Aufgabe. Meine Familie kämpft seit Generation-
en gegen das Böse. Und ich bin die Letzte von uns. Meine Eltern wurden
getötet, als ich dreizehn war.«
Meredith schnappte erschrocken nach Luft, aber Samantha schüttelte
entschlossen den Kopf und wischte Meredith’ Mitgefühl beiseite. »Sie
hatten meine Ausbildung noch nicht vollendet«, fuhr sie fort, »und ich
brauche deine Hilfe, um schneller und besser zu werden. Ich bin noch
nicht stark genug.«
Meredith starrte sie an.
»Bitte, Meredith«, bat Samantha eindringlich. »Ich weiß, es klingt ver-
rückt, aber es ist wahr. Die Leute müssen sich auf mich verlassen
können.«
Plötzlich fiel alle Anspannung von Meredith ab und sie begann zu
lachen.
»Das ist kein Witz!«, rief Samantha wütend und sprang mit geballten
Fäusten auf. »Das ist … ich hätte nichts sagen sollen.« Sie drehte sich um
und stolzierte hoch aufgerichtet zur Tür.
»Samantha, warte!«
Zornig wirbelte Samantha wieder herum. Meredith holte tief Luft und
versuchte verzweifelt, sich an etwas zu erinnern, das sie als Kind gelernt
hatte, bis jetzt jedoch noch nie anwenden konnte. Sie verschränkte ihre
kleinen Finger
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