Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
und
etwas flatterte zu Boden.
Ein hübsches weißes Gänseblümchen. Elena bückte sich und hob es auf
und plötzlich durchzuckte ein scharfer Schmerz ihre Brust. Oh Gott, wie
ich Stefano vermisse! Sie hegte keinen Zweifel daran, dass das Gän-
seblümchen von ihm stammte. Es war typisch für ihn, ihr zu zeigen, dass
er an sie dachte, während er ihr trotzdem ihren Freiraum gewährte.
Da erfüllte sie ein süßes, strahlendes Gefühl und verdrängte den Sch-
merz. Mit einem Mal kam es ihr so dumm und kindisch vor, jeglichen
Kontakt zu Stefano zu vermeiden. Sie liebte ihn. Und darüber hinaus war
er einer ihrer besten Freunde. Elena zog ihr Handy heraus, um ihn
anzurufen.
Dann hielt sie inne, atmete tief durch und steckte das Handy wieder in
ihre Handtasche.
Wenn sie mit Stefano sprach, würde sie ihn sehen wollen. Wenn sie ihn
sah, würde sie ihn berühren wollen. Und wenn sie ihn berührte … wäre
alles vorbei. Sie würde in seine Arme fallen. Und dann würde sie auf-
schauen und Damons dunkle, unergründliche Augen sehen, die sie beo-
bachteten, und sie würde diesen Sog spüren, der sie zu ihm hinzog. Und
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dann würden die Brüder einander ansehen und Liebe, Schmerz und Zorn
würden sich in ihren Mienen widerspiegeln. Und alles würde von Neuem
beginnen.
Ohne die beiden Brüder zu leben, war herzzerreißend und furchtbar
einsam. Aber zugleich fühlte es sich nicht nur richtig, sondern irgendwie
gut an. Seither hatte sich eine unglaubliche Ruhe in ihr ausgebreitet. Sie
war zwar nicht direkt glücklich, denn sobald sie sich an das letzte Ge-
spräch mit den beiden erinnerte, kehrte der Schmerz zurück. Und doch
hatte sie das Gefühl, wochenlang den Atem angehalten zu haben und jetzt
endlich wieder Luft holen zu können.
Sie wusste, dass Stefano auf sie warten würde, so lange, bis sie bereit
war, ihm wieder zu begegnen. War es nicht genau das, was das Gän-
seblümchen bedeutete?
Sie schob es in ihre Tasche, schloss die Tür und ging den Flur entlang;
ihre Absätze klapperten energisch. Elena würde mit ihren Freundinnen
ausgehen, sie würde Spaß haben und nicht an Stefano oder an Damon
denken. Oder an die verschwundenen Studenten oder Christophers Tod.
Elena seufzte unter der Last all dessen. Tagelang hatten sie getrauert,
doch jetzt mussten sie das Leben wieder umarmen. Sie hatten sich einen
Abend der Freiheit verdient. Schließlich mussten sie sich auch daran erin-
nern, wofür sie eigentlich kämpften.
»Da ist sie«, hörte Elena Bonnie rufen, als sie die überfüllte Bar betrat.
»Elena! Hier drüben!«
Bonnie, Meredith und ein Mädchen, das Elena nicht kannte, saßen an
einem kleinen Tisch in der Nähe der Tanzfläche. Sie hatten auch Matt ein-
geladen mitzukommen, aber er hatte mit der Begründung abgelehnt, er
müsse lernen, und da wussten sie, dass er noch nicht bereit war und ein
wenig Zeit für sich allein brauchte.
Meredith, anmutig und entspannt, begrüßte Elena mit ihrem kühlen
Lächeln und stellte ihr die schlanke junge Frau mit den strahlenden,
wachen Augen als Samantha vor. Samantha machte den Eindruck, als
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hätte sie etwas zu viel Energie, während sie sich mal der einen, mal der
anderen zuwandte und pausenlos plauderte.
Auch Bonnie schien heute Abend äußerst ausgelassen zu sein und
begann drauflos zu plappern, sobald Elena den Tisch erreichte. Bonnie
schlägt sich wirklich tapfer, dachte Elena. Christophers Tod hatte sie
schockiert und sie machte sich ebenso große Sorgen um Matt wie sie alle,
aber trotzdem reckte sie das Kinn vor, lächelte und versuchte, das Leben
einfach weiterzuleben – denn genau darum ging es heute Abend.
»Ich hab dir eine Cola bestellt«, sagte Bonnie. »Sie haben meinen Aus-
weis kontrolliert, daher konnte ich nichts anderes nehmen. Und rate
mal!« Sie hielt dramatisch inne. »Ich habe Zander angerufen, und er
sagte, dass er unbedingt versuchen würde, heute Abend hierherzukom-
men. Ich kann es gar nicht erwarten, dass ihr ihn kennenlernt!«
Vor Aufregung hüpfte Bonnie beinah von ihrem Stuhl und ihre roten
Locken wirbelten herum.
»Wer ist denn Zander?«, erkundigte Samantha sich völlig unbedarft.
Meredith warf Elena einen verstohlenen Blick zu. »Ach weißt du, da bin
ich mir gar nicht sicher«, antwortete sie mit gespielter Verwirrung. »Bon-
nie, erzähl uns doch mal ein bisschen von ihm.«
»Oh ja«, fügte Elena grinsend hinzu. »Ich kann mich gar nicht erin-
nern, dass
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