Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
elegant. Aber die kleinen
Blumenarrangements wirkten irgendwie kitschig und künstlich, wie eine
sakrale Kulisse. Und die schwarz maskierten Gestalten, die im hinteren
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Teil des Raums herumlungerten und zuschauten, verursachten ihm eine
Gänsehaut.
Matt hatte ihn angerufen und ihm von einer Art Geheimbund erzählt,
dem er beigetreten war, und dass der Präsident auch Stefano dabeihaben
wolle. Stefano hatte sich bereit erklärt, sich mit ihm zu treffen und
darüber zu reden. Er hatte mit Vereinen zwar nicht viel am Hut, aber er
mochte Matt, und es war immerhin eine Beschäftigung.
Eine Beschäftigung, die ihn von Elena ablenkte. Elena … Er hatte sie
beobachtet, während er auf dem Campus herumgeschlichen war – und es
fühlte sich tatsächlich wie Herumschleichen an, wenn sein Blick unwider-
stehlich von ihr angezogen wurde und er sich dann beeilte, so schnell wie
möglich wieder aus ihrem Blickfeld zu verschwinden. Manchmal war sie
mit Damon zusammen. Stefano ballte die Hände zu Fäusten. Dann
entspannte er sich ganz bewusst und richtete seine Aufmerksamkeit
wieder auf Ethan.
»Die Mitglieder der Vitale Society nehmen einen ganz besonderen Platz
in der Welt ein«, sagte dieser, beugte sich vor und lächelte. »Nur die
Besten der Besten können darauf hoffen, aufgenommen zu werden, und
in dir, Stefano, finden wir alle Eigenschaften, nach denen wir suchen, sehr
gut vereint.«
Stefano nickte höflich und ließ seine Gedanken wieder abschweifen.
Geheimbünde – darüber wusste er tatsächlich ein wenig Bescheid. Im
elisabethanischen England hatte Sir Walter Raleighs School of Night das
diskutiert, was damals verbotenes Wissen gewesen war: Naturwis-
senschaft und Philosophie, beides hatte die Kirche für tabu erklärt. Da-
heim in Italien hatte Il Carbonari darauf hingearbeitet, eine Revolte ge-
gen die Regierungen der verschiedenen Stadtstaaten anzuzetteln, und die
Einigung des ganzen Landes angestrebt. Im frühen 18. Jahrhundert hatte
Damon sich, das wusste Stefano, einige Monate lang auf den Hellfire Club
in London eingelassen, bis ihn das elitäre Getue der Mitglieder und deren
kindische Blasphemie langweilten.
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Aber alle diese Geheimbünde hatten irgendein Ziel verfolgt. Rebellion
gegen die konventionelle Moral, Suche nach der Wahrheit, Revolution.
Stefano beugte sich vor. »Verzeihung«, unterbrach er Ethan höflich,
»aber welchen Sinn hat denn die Vitale Society?«
Ethan hielt mitten im Satz inne und starrte ihn an, dann leckte er sich
die Lippen. »Nun«, antwortete er bedächtig, »die Geheimnisse dieser
Gesellschaft werden Außenstehenden natürlich nicht enthüllt. Keiner der
Anwärter kennt unsere wahren Rituale und Absichten, noch nicht. Aber
ich kann dir versichern, dass es unzählige Vorteile hat, einer von uns zu
sein. Reisen, Abenteuer, Macht.«
»Keiner der Anwärter kennt eure wahre Absicht?«, hakte Stefano nach
und überwand seine ihm angeborene Zurückhaltung. »Warum trägst du
eigentlich keine Maske wie die anderen?«
Ethan wirkte überrascht. »Ich bin für unsere Kandidaten das Gesicht
der Vitale Society«, erwiderte er schlicht. »Sie brauchen jemanden, den
sie kennen, der sie anführt.«
Da traf Stefano seine Entscheidung. Er wollte nicht angeführt werden.
»Bitte entschuldige, Ethan«, sagte er förmlich, »aber ich denke nicht,
dass ich ein geeigneter Kandidat für deine Organisation bin. Trotzdem
vielen Dank für die Einladung.« Und damit erhob er sich aus dem Sessel.
»Warte«, sagte Ethan mit großen Augen; sie glänzten golden und
zeigten einen hungrigen, gierigen Ausdruck. »Warte«, wiederholte er und
leckte sich erneut die Lippen. »Wir … wir haben eine Ausgabe von Pico
della Mirandolas De hominis dignitate .« Er stolperte über die Worte, als
wisse er gar nicht genau, was sie bedeuteten. »Eine sehr alte Ausgabe aus
Florenz, eine Erstausgabe. Du könntest sie lesen. Du könntest sie haben,
wenn du möchtest.«
Stefano erstarrte. Er hatte Mirandolas Werk über Vernunft und Philo-
sophie voller Begeisterung studiert, als er noch ein junger, lebendiger
Mann gewesen war, der sich auf die Universität vorbereitete. Plötzlich
verspürte er ein tief sitzendes Verlangen danach, das alte Leder und Per-
gament in seinen Händen zu halten, die klobigen Buchstaben aus den
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frühen Tagen der Druckerpresse zu sehen, die irgendwie viel echter waren
als die moderne per Computer gesetzte Schrift.
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