Tagebuch eines Vampirs 9 - Jagd im Mondlicht
ziehen, aber sie
rückte von ihm ab.
»Ich wünschte, du würdest mir erzählen, was passiert ist«, sagte sie
und kämpfte gegen das Gefühl aufsteigender Übelkeit.
»Habe ich doch«, sagte Zander beschwichtigend. »Du weißt ja, wie ver-
rückt meine Jungs sind.«
Das stimmte. Sie hatte noch nie einen so wilden Haufen kennengelernt.
Zander streckte abermals die Arme nach ihr aus, und diesmal rückte Bon-
nie näher an ihn heran. Als ihre Lippen sich trafen, kam ihr wieder in den
Sinn, was Zander zu ihr gesagt hatte: »Du kennst mich. Du siehst mich.«
Ich kenne ihn wirklich, sagte Bonnie sich. Sie konnte Zander vertrauen.
222/308
Damon stand im Schatten eines Baumes und beobachtete von der ander-
en Seite der Straße aus, wie Bonnie Zander küsste.
Er musste zugeben, dass es ihm einen kleinen Stich versetzte, sie in den
Armen eines anderen zu sehen. Bonnie hatte etwas so Süßes an sich, aber
unter ihrer Zuckerwatte-Optik war sie mutig und intelligent. Außerdem
verlieh diese Hexensache ihrem Wesen einen Hauch von Würze. Er hatte
sie immer als sein Eigentum betrachtet.
Aber … verdiente das kleine Rotkäppchen nicht jemanden, der nur ihr
gehörte? Sosehr Damon sie mochte, er liebte sie nicht, das musste er
zugeben. Im Gegensatz zu diesem Burschen, dachte er. Zumindest sah es
ganz danach aus, so wie sein Gesicht aufleuchtete, wenn sie ihn
anlächelte.
Nachdem sie noch ein paar Minuten rumgeknutscht hatten, standen
Bonnie und Zander auf und wanderten Hand in Hand auf das Gebäude
zu, von dem Damon wusste, dass es Zanders Wohnheim war. Damon fol-
gte ihnen im Schutz der Schatten.
Auf meine alten Tage werde ich tatsächlich noch weich, dachte er mit
einem schnaubenden, selbstironischen Lachen. Früher hätte er Bonnie
ohne zu zögern vernascht und jetzt war er hier und machte sich Sorgen
um ihr Liebesleben.
Trotzdem, es wäre schön, wenn das kleine Rotkäppchen sein Glück ge-
funden hätte. Falls ihr Freund keine Gefahr darstellte.
Damon rechnete damit, dass das glückliche Pärchen gemeinsam im
Wohnheim verschwinden würde. Stattdessen küsste Zander Bonnie zum
Abschied, sah ihr nach, wie sie hineinging, und machte sich dann wieder
auf den Weg zur Dachparty. Damon folgte ihm verstohlen und wartete in
sicherer Entfernung vor der Naturwissenschaftlichen Fakultät. Doch
schon wenige Minuten später kletterte Zander wieder herunter, gefolgt
von seiner lärmenden Clique.
Damon zuckte gelangweilt mit den Schultern. Gott schütze mich vor
College-Studenten, dachte er. Wahrscheinlich würden sie sich wieder mit
fettigem Kneipenfraß vollstopfen. Nachdem er Zander zwei Tage lang
223/308
beobachtet hatte, war er drauf und dran, Elena aufzusuchen und ihr dav-
on zu berichten, dass der junge Mann sich keines schlimmeren Vergehens
schuldig gemacht hatte als seiner ständigen Rauferei.
Statt jedoch die nächste Bar anzusteuern, joggte die Clique über den
Campus, schnell und entschlossen, als hätten sie ein wichtiges Ziel vor
Augen. Am Rand des Campusgeländes bogen sie in den Wald ab.
Damon gab ihnen einige Sekunden Vorsprung, dann folgte er ihnen.
Er war gut in dem, was er hier tat. Er war ein Räuber, ein Jäger, und so
brauchte er nur wenige Sekunden lang zu lauschen, seine Macht aus-
zusenden und schließlich durch den Wald zu laufen, um zu begreifen,
dass Zander und seine Kumpel verschwunden waren.
Schließlich blieb Damon stehen und lehnte sich an einen Baum, um
wieder zu Atem zu kommen. Um ihn herum herrschte Stille, bis auf die
unschuldigen Geräusche verschiedener kleiner Waldbewohner, die ihren
tierischen Angelegenheiten nachgingen, und seinem eigenen rauen
Keuchen. Diese Horde lärmender, lästiger Kinder war ihm entkommen,
war einfach spurlos verschwunden. Er biss die Zähne zusammen und
hatte Mühe, seinen Zorn darüber zu mäßigen, dass er überlistet worden
war. Doch dann verwandelte sich sein Ärger in Neugier, wie sie das wohl
angestellt haben mochten.
Arme Bonnie, dachte Damon, während er sorgfältig seine Kleidung
zurechtzupfte. Denn eines war glasklar: Zander und seine Freunde waren
nicht ganz menschlich.
Stefano rutschte unbehaglich hin und her. Das hier war ziemlich
merkwürdig.
Er saß auf einem mit Samt bezogenen Sessel in einem riesigen, unteri-
rdischen Raum, während ein paar College-Studenten herumwuselten und
Blumen und Kerzen arrangierten. Der Raum war beeindruckend, das
musste Stefano zugeben: höhlenartig und doch
Weitere Kostenlose Bücher