Tagebuch für Nikolas
nicht in Ordnung. Nie im Leben war Katie so tief verletzt worden. Nichts war auch nur annähernd so schlimm gewesen. Sie hatte den einzigen Mann verloren, den sie jemals geliebt hatte. Und sie liebte ihn mehr als ihr Leben.
KATIE KONNTE es nicht ertragen, an diesem Tag zur Arbeit zu gehen. Sie konnte die Menschen in ihrem Büro nicht ertragen. Nicht einmal die Fremden im Bus konnte sie ertragen. Auf dem Schiff hatte sie genug neugierige Blicke über sich ergehen lassen müssen, dass es für den Rest ihres Lebens reichte.
Als sie nach der Bootsfahrt zu ihrer Wohnung zurückkehrte, war ein Päckchen an die Eingangstür gelehnt.
Katie hielt es für ein Manuskript aus dem Büro. Halblaut verfluchte sie die Arbeit. Konnten diese verdammten Quälgeister sie denn nicht einen einzigen Tag in Ruhe lassen? Von Zeit zur Zeit hatte sie doch das Recht auf einen Tag für sich selbst, für sich allein, so wie jeder andere. Mein Gott, sie arbeitete so hart! Im Verlag wussten alle, welche Leidenschaft sie für ihre Bücher aufbrachte, wie sehr sie sich engagierte.
Katie liebte ihre Arbeit. Sie war Lektorin in einem New Yorker Verlag mit sehr gutem Ruf. Der Verlag war auf literarische Romane und Gedichte spezialisiert. Dort hatte sie auch Matt kennen gelernt. Voller Begeisterung hatte sie vor ungefähr einem Jahr bei einer kleinen Literaturagentur in Boston den ersten Gedichtband von Matt gekauft.
Die beiden mochten sich auf Anhieb, und sie verstanden sich gut, sehr gut. Nur wenige Wochen später waren sie ineinander verliebt - jedenfalls hatte Katie das geglaubt: mit Herz und Seele, Körper, Verstand und weiblicher Intuition.
Wie hatte sie sich nur so täuschen können? Was war geschehen? Und warum?
Als sie das Päckchen aufhob, erkannte sie die Handschrift. Es war Matts Schrift, da gab es keinen Zweifel.
Sie ließ es beinahe fallen. Dann wollte sie es mit aller Kraft von sich schleudern.
Sie tat es nicht. Zu viel Selbstbeherrschung - das war ihr Problem. Eines ihrer Probleme. Eine Zeit lang starrte sie auf das Päckchen. Schließlich atmete sie tief durch und riss das braune Packpapier auf.
Im Päckchen fand sie ein kleines, antik aussehendes Tagebuch. Katie runzelte die Stirn. Sie verstand nicht. Dann spürte sie, wie sich ihr der Magen umdrehte.
Suzannes Tagebuch für Nikolas stand handgeschrieben vorn auf dem Einband - aber es war nicht Matts Schrift.
Suzanne?
Plötzlich zitterten Katies Hände, und sie konnte kaum noch atmen, konnte nicht mehr klar denken. Matt war immer verschlossen und geheimnistuerisch gewesen, wenn es um seine Vergangenheit ging. Katie hatte nur Weniges herausbekommen, darunter auch, dass seine Frau Suzanne hieß. Der Name war Matt ungewollt über die Lippen gekommen, nachdem sie zwei Flaschen Wein getrunken hatten. Aber dann hatte er nicht weiter über Suzanne sprechen wollen.
Matts Schweigen über seine Vergangenheit war auch der einzige Grund für Streitereien zwischen ihm und Katie gewesen. Katie hatte darauf bestanden, mehr von ihm zu erfahren - mit dem Ergebnis, dass Matt sich noch tiefer in Schweigen hüllte, was ihn noch geheimnisvoller erscheinen ließ. Das aber sah ihm gar nicht ähnlich. Als sie sich einmal gewaltig in die Haare geraten waren, erzählte er Katie, dass er nicht mehr mit Suzanne verheiratet sei - er schwor es. Aber mehr hatte er nie darüber sagen wollen.
Wer war Nikolas? Und warum hatte Matt ihr dieses Tagebuch geschickt? Warum gerade jetzt? Katie war völlig verwirrt.
Ihre Finger zitterten, als sie die erste Seite des Tagebuchs aufschlug. Dort war eine Nachricht von Matt angeheftet. Katie stiegen die Tränen in die Augen, und zornig wischte sie sie weg.
Sie las, was Matt geschrieben hatte.
Liehe Katie,
keine Worte oder Taten könnten ausdrücken, was ich gerade empfinde. Es tut mir schrecklich Leid, was zwischen uns geschehen ist. Ich hätte es nie so weit kommen lassen dürfen. Es ist alles mein Fehler. Ich nehme alle Schuld auf mich. Du bist perfekt, wundervoll, wunderschön. Es liegt nicht an dir-es liegt an mir, an mir allein. Vielleicht wird dieses Tagebuch dir alles viel besser erklären, als ich es je könnte. Wenn du es übers Herz bringst, lies es bitte. Es geht um meine Frau, meinen Sohn und mich. Doch ich muss dich warnen, Katie. Vielleicht kannst du einige Abschnitte nicht ertragen. Ich hatte nie damit gerechnet, mich in dich zu verlieben, und doch ist es geschehen.
Matt
Katie blätterte um.
Lieber Nikolas, mein kleiner Prinz,
viele Jahre
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