Tagebuch (German Edition)
unvollkommene Mams, die ich so gerne noch mit einem Strich am »n« ehren möchte. Zum Glück begreift Mans das nicht, denn sie wäre sehr unglücklich darüber.
Nun ist es genug, mein »zu Tode betrübt« ist beim Schreiben ein bisschen vorbeigegangen!
Deine Anne
In diesen Tagen, an Weihnachten, muss ich immer wieder an Pim denken und an das, was er mir vergangenes Jahr erzählt hat. Vergangenes Jahr, als ich die Bedeutung seiner Worte nicht so verstand, wie ich sie jetzt verstehe. Wenn er doch noch einmal sprechen würde, vielleicht würde ich ihm dann zeigen können, dass ich ihn verstehe.
Ich glaube, dass Pim darüber gesprochen hat, weil er, der so viele »Herzensgeheimnisse« von anderen weiß, sich auch mal aussprechen musste. Denn Pim sagt sonst nie etwas über sich selbst, und ich glaube nicht, dass Margot vermutet, was Pim hat durchmachen müssen. Der arme Pim! Er kann mir nicht weismachen, dass er sie vergessen hat. Nie wird er das vergessen. Er ist nachgiebig geworden, denn auch er sieht Mutters Fehler. Ich hoffe, dass ich ihm ein bisschen ähnlich werde, ohne dass ich das auch durchmachen muss!
Anne
Montag, 27. Dezember 1943
Freitagabend habe ich zum ersten Mal in meinem Leben etwas zu Weihnachten bekommen. Die Mädchen, Kleiman und Kugler hatten wieder eine herrliche Überraschung vorbereitet. Miep hat einen wunderbaren Weihnachtskuchen gebacken, auf dem »Friede 1944« stand. Bep hat ein Pfund Butterkekse in Vorkriegsqualität besorgt.
Für Peter, Margot und mich gab es eine Flasche Joghurt und für die Erwachsenen je eine Flasche Bier. Alles war wieder so hübsch eingepackt, mit Bildchen auf den verschiedenen Paketen. Ansonsten sind die Weihnachtstage schnell vorbeigegangen.
Anne
Mittwoch, 29. Dezember 1943
Gestern Abend war ich wieder sehr traurig. Oma und Hanneli kamen mir vor Augen. Oma – die liebe Oma, wie wenig haben wir verstanden, was sie gelitten hat. Wie lieb war sie immer wieder zu uns, wie viel Interesse brachte sie allem entgegen, was uns betraf. Und dabei bewahrte sie stets sorgfältig das schreckliche Geheimnis, das sie mit sich trug. [10]
Wie treu und gut war Oma immer, nie hätte sie einen von uns im Stich gelassen. Was auch war, wie ungezogen ich auch war, Oma entschuldigte mich immer. Oma, hast du mich geliebt oder hast du mich auch nicht verstanden? Ich weiß es nicht. Wie einsam muss Oma gewesen sein, wie einsam, obwohl wir da waren. Ein Mensch kann einsam sein, trotz der Liebe von vielen, denn für niemanden ist er der »Liebste«.
Und Hanneli? Lebt sie noch? Was tut sie? O Gott, beschütze sie und bringe sie zu uns zurück. Hanneli, an dir sehe ich immer, wie mein Schicksal auch hätte sein können, immer sehe ich mich an deiner Stelle.
Warum bin ich denn so oft traurig wegen dem, was hier passiert? Müsste ich nicht immer froh, zufrieden und glücklich sein, außer wenn ich an sie und ihre Schicksalsgenossen denke? Ich bin selbstsüchtig und feige. Warum träume und denke ich immer die schlimmsten Dinge und würde vor Angst am liebsten schreien? Weil ich doch noch, trotz allem, Gott nicht genügend vertraue. Er hat mir so viel gegeben, was ich sicher noch nicht verdient habe, und doch tue ich jeden Tag so viel Falsches!
Man könnte weinen, wenn man an seinen Nächsten denkt, man könnte eigentlich den ganzen Tag weinen. Aber man kann nur beten, dass Gott ein Wunder geschehen lässt und einige von ihnen verschont. Ich hoffe, dass ich das ausreichend tue!
Anne
Donnerstag, 30. Dezember 1943
Liebe Kitty!
Hier ist nach den letzten heftigen Streitereien alles wieder gut geworden, sowohl zwischen uns, Dussel und oben, als auch zwischen Herrn und Frau van Daan. Aber jetzt brauen sich wieder dicke Unwetterwolken zusammen, und zwar wegen Essen. Frau van Daan kam auf die unselige Idee, morgens weniger Bratkartoffeln zu machen und sie lieber aufzuheben. Mutter und Dussel und wir auch waren damit nicht einverstanden. Nun haben wir auch die Kartoffeln aufgeteilt. Aber jetzt geht es mit dem Fett ungerecht zu, und Mutter muss wieder einen Riegel vorschieben. Wenn das alles ein einigermaßen interessantes Ende nimmt, werde ich dir darüber bestimmt noch schreiben. Im Lauf der letzten Zeit haben wir nun geteilt: das Fleisch (sie fett, wir ohne Fett); sie Suppe, wir keine Suppe; die Kartoffeln (sie geschält, wir gepellt). Getrennt einkaufen, und jetzt auch noch die Bratkartoffeln.
Wären wir nur schon wieder ganz geteilt!
Deine Anne
P.S. Bep hat für mich eine
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