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Tagebuch (German Edition)

Tagebuch (German Edition)

Titel: Tagebuch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Frank
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Schwierigkeiten auf.
    Es war gemein, wie ich mit ihr umgegangen bin, und jetzt schaute sie mich mit ihrem blassen Gesicht und ihren flehenden Augen so hilflos an. Könnte ich ihr bloß helfen! O Gott, dass ich hier alles habe, was ich mir wünschen kann, und dass sie vom Schicksal so hart angefasst worden ist! Sie war mindestens so fromm wie ich, sie wollte auch das Gute. Warum wurde ich dann auserwählt, um zu leben, und sie musste womöglich sterben? Welcher Unterschied war zwischen uns? Warum sind wir jetzt so weit voneinander entfernt?
    Ehrlich gesagt, ich habe sie monatelang, ja ein Jahr, fast vergessen. Nicht ganz, aber doch nicht so, dass ich sie in all ihrem Elend vor mir sah.
    Ach, Hanneli, ich hoffe, dass ich dich bei uns aufnehmen kann, wenn du das Ende des Krieges erlebst, um etwas von dem Unrecht an dir gutzumachen, das ich dir angetan habe.
    Aber wenn ich wieder im Stande bin, ihr zu helfen, hat sie meine Hilfe nicht mehr so nötig wie jetzt. Ob sie manchmal an mich denkt? Und was sie dann wohl fühlt?
    Lieber Gott, hilf ihr, dass sie wenigstens nicht allein ist. Wenn du ihr nur sagen könntest, dass ich mit Liebe und Mitleid an sie denke, es würde sie vielleicht in ihrem Durchhaltevermögen stärken.
    Ich darf nicht weiter denken, denn ich komme nicht davon los. Ich sehe immer wieder ihre großen Augen, die mich nicht loslassen. Hat Hanneli wirklich den Glauben in sich selbst? Hat sie ihn nicht von außen aufgedrängt bekommen? Ich weiß es nicht, nie habe ich mir die Mühe gemacht, sie danach zu fragen.
    Hanneli, Hanneli, könnte ich dich bloß wegholen von dem Ort, an dem du jetzt bist, könnte ich dich an allem teilhaben lassen, was ich genieße! Es ist zu spät, ich kann nicht mehr helfen und nicht mehr gutmachen, was ich falsch gemacht habe. Aber ich werde sie niemals vergessen und immer für sie beten!
    Deine Anne

Montag, 6. Dezember 1943
    Liebe Kitty!
    Als Nikolaus näher kam, dachten wir alle unwillkürlich an den schön hergerichteten Korb vom vergangenen Jahr. Vor allem mir kam es langweilig vor, Nikolaus dieses Jahr zu übergehen. Ich dachte lange nach, bis ich etwas gefunden hatte, etwas zum Lachen. Pim wurde zu Rate gezogen, und vor einer Woche gingen wir an die Arbeit, um für alle acht ein Gedicht zu machen.
    Sonntagabend um Viertel nach acht erschienen wir oben mit dem großen Wäschekorb zwischen uns, der mit Figuren und Bändern aus rosa und blauem Durchschlagpapier geschmückt war. Über dem Korb lag ein großes Stück braunes Packpapier, auf dem ein Zettel befestigt war. Alle waren ziemlich erstaunt.
    Ich nahm den Zettel von dem Packpapier und las:
    Prolog:
    Nikolaus ist auch dieses Jahr gekommen,
    Sogar das Hinterhaus hat es vernommen.
    Leider können wir’s nicht so schön begehen,
    wie es vergangenes Jahr geschehen.
    Damals, so denken wir heute zurück,
    glaubten wir alle an unser Glück.
    Und dachten, dass in diesem Jahr frei
    Sankt Nikolaus zu feiern sei.
    Doch wollen wir des Tags gedenken.
    Weil’s aber nichts mehr gibt zum Schenken,
    so müssen wir was andres tun:
    Ein jeder schaue in seinen Schuh’n.
    Ein schallendes Gelächter folgte, als jeder Eigentümer seinen Schuh aus dem Korb holte. In dem Schuh befand sich ein kleines Päckchen, in Packpapier gewickelt, mit dem Namen des Besitzers und einem Vers.

Mittwoch, 22. Dezember 1943
    Liebe Kitty!
    Eine hartnäckige Grippe hat mich gehindert, dir eher als heute zu schreiben. Es ist ein Elend, wenn man hier krank ist. Wenn ich husten musste, kroch ich eins-zwei-drei unter die Decke und versuchte, so geräuschlos wie möglich meine Kehle zu beruhigen, was meistens zur Folge hatte, dass das Kribbeln gar nicht mehr wegging und Milch mit Honig, Zucker oder Pastillen notwendig war. Wenn ich an die Kuren denke, die sie mich haben machen lassen, wird mir schwindlig. Schwitzen, Umschläge, feuchte Brustwickel, trockene Brustwickel, heiße Getränke, Gurgeln, Pinseln, Stilliegen, Heizkissen, Wärmflaschen, Zitronenwasser und dabei alle zwei Stunden das Thermometer. Kann man auf so eine Art eigentlich gesund werden?
    Am schlimmsten fand ich aber, als Herr Dussel angefangen hat, den Doktor zu spielen, und seinen Pomadenkopf auf meine nackte Brust legte, um die Geräusche da drinnen abzuhören. Nicht nur, dass mich seine Haare schrecklich gekitzelt haben, ich genierte mich auch, obwohl er vor dreißig Jahren studiert und den Doktortitel hat. Was hat sich dieser Kerl an mein Herz zu legen? Er ist doch nicht mein Geliebter!

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